Der Bonner Rechtsanwalt Dan Ivanescu wird in Frankenthal ausführlich darüber aufklären, welche Risiken mit der Anwendung von Rezepturarzneimitteln verbunden sind und worauf Dermatologen
in diesem Zusammenhang achten müssen.
Sowohl Fertigarzneimittel als auch Magistralrezepturen sind ein fester Bestandteil der dermatologischen Therapie. Wie ist aber der rechtliche Rahmen, wenn für die konkrete Therapie nicht nur ein Rezepturarzneimittel, sondern auch ein Fertigarzneimittel zur Verfügung steht? Was der Arzt bei der Entscheidung zwischen Rezeptur- und Fertig‧arzneimittel unter anderem beachten muss, soll im Folgenden kurz dargestellt werden.
Europarat ruft die Subsidiarität der Rezeptur aus
Der Europarat hat am 19. Januar 2011 die Resolution CM/ResAP(2011)1 verabschiedet, die federführend vom European Committee on Pharmaceuticals and Pharmaceutical Care erarbeitet wurde, das neben
der Europäischen Arzneibuch-Kommisson für die Fortschreibung des Europäischen Arzneibuchs (Ph. Eur.) zuständig ist. Die Resolution macht unter anderem deutlich, dass
Zusatznutzen gefordert
Die Resolution fordert also einen Zusatznutzen von Rezepturen gegenüber entsprechenden Fertigarzneimitteln; das heißt, sie werden aufgrund von medizinischen, pharmazeutischen oder persönlichen
Gründen von einem bestimmten Patienten benötigt. Steht allerdings ein passendes äquivalentes und zugelassenes Fertigarzneimittel zur Verfügung und liegen keine individuellen Gründe für eine
Rezeptur vor, ist das Fertigarzneimittel vorzuziehen. Als äquivalent gilt ein Arzneimittel, das, ungeachtet der eingesetzten Hilfsstoffe, denselben Wirkstoff, die gleiche oder eine ähnliche
Zweckbestimmung, eine vergleichbare Stärke und Dosierung sowie die gleiche oder ähnliche Darreichungsform besitzt.
Daraus formuliert die Resolution folgenden Grundsatz:
Ist ein äquivalentes Fertigarzneimittel verfügbar, ist dieses der Rezeptur vorzuziehen.
Auswirkungen auf dieRezepturherstellung in Deutschland
Hat die Resolution des Europarats unmittelbare Auswirkungen auf die Rezepturherstellung in Deutschland? Die Resolution hat keine Verbindlichkeit einer europäischen Verordnung mit unmittelbarer
Wirkung in allen Mitgliedsstaaten oder einer national umzusetzenden Richtlinie. Allerdings kann sie als anerkannte pharmazeutische Regel im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 1 Arzneimittelgesetz (AMG,
Verbot zum Schutz vor Täuschung) und des § 6 Abs. 1 Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) eingeordnet werden, sodass von ihr über diese nationalen Vorschriften auch ohne besondere
Umsetzungsmaßnahmen eine unmittelbare Bindung ausgeht. Denn die anerkannten pharmazeutischen Regeln sind nicht auf diejenigen des Arzneibuchs beschränkt, sondern zu ihnen zählen zum Beispiel auch
die wissenschaftlichen Leitlinien des Committee for Medicinal Products für Human Use (CHMP) und anderer sachverständiger Gremien. Dass das European Committee on Pharmaceuticals and Pharmaceutical
Care ein solches sachverständiges Gremium ist, dürfte nicht zu bestreiten sein.
Systematischer Nachbau von Fertigarzneimitteln in der Apotheke verboten
Ferner ist zu beachten, dass Wettbewerbsgerichte entschieden haben, dass der systematische Nachbau von Fertigarzneimitteln in der Apotheke ohne arzneimittelrechtliche Zulassung verboten ist (OLG
Hamburg, Urt. v. 25.07.2002 – 3 U 322/01; OLG Köln, Urt. v. 31.03.2003 – 6 U 160/02).
Begründet haben dies die Gerichte damit, dass europäisches und nationales Recht von der grundsätzlichen Zulassungspflichtigkeit von Human‧arzneimitteln ausgehen. Die Einzelrezeptur stelle eine
Ausnahme von der grundsätzlichen Zulassungspflicht dar und sei daher eng auszulegen: Die Freistellung von der grundsätzlichen Zulassungspflicht gelte nur dann, wenn auch tatsächlich ein Fall der
Einzelrezeptur vorliege. Dies sei nur dann gegeben, wenn ein Arzneimittel in einer Apotheke nach ärztlicher Vorschrift für einen bestimmten Patienten zubereitet wird. Sie betreffe also nur
Arzneimittel, die auf individuelle Einzelfallentscheidung und -bestimmung durch den verschreibenden Arzt für den Einzelfall in der Apotheke hergestellt werden. Werde abweichend von dieser
„Einzelfalllösung“ eine systematische und über den Einzelfall hinausgehende Rezeptierung und Herstellung propagiert, liegen die Voraussetzungen einer Ausnahme von der grundsätzlich bestehenden
Zulassungspflicht nicht vor.
Validitäts- und Qualitätsunterschiede
Außerdem muss konstatiert werden, dass Rezepturen ein Wirksamkeitsnachweis fehlt, der im Hinblick auf die Validität (klinische Studien) mit dem bei Fertigarzneimitteln vergleichbar ist. Als
gesetzlich vorgeschriebene Qualitätsfaktoren von Fertigarzneimitteln sind unter anderem zu nennen
Dies sind Qualitätsfaktoren, die eine Rezeptur nicht bieten kann. Ferner zeigt die Praxis, dass in der Realität selbst die gesetzlichen Qualitätsvorgaben für die Rezepturherstellung oft mangels
notwendiger materieller, personeller, wirtschaftlicher und zeitlicher Ressourcen nicht eingehalten werden können.
Der behandelnde Arzt muss erhöhte Haftungsrisiken bei der Rezepturverordnung beachten. Denn realisiert sich ein Entwicklungs- und/oder Konstruktionsfehler der Rezeptur oder ein Instruktionsfehler
im Hinblick auf die Anwendung des Rezepturarzneimittels, liegen diese Fehler im Verantwortungsbereich des Arztes. Hingegen haftet der Arzt für Gesundheitsschäden, die infolge eines
indikationsgerecht eingesetzten Fertigarzneimittels nach ordnungsgemäßer Aufklärung entstehen, in der Regel nicht, denn solche Nebenwirkungen liegen außerhalb des von ihm beherrschbaren Bereichs.
Sehr breite Patientenaufklärung erforderlich
Außerdem erfordern Rezepturen eine sehr breite Patientenaufklärung. Denn bekanntlich erfordert jede Arzneitherapie die Einwilligung des Patienten, was wiederum eine ordnungsgemäße Aufklärung
voraussetzt. Mangels Packungsbeilage muss der Arzt deswegen bei Rezeptur‧arzneimitteln den Patienten umfassend über Risiken und Nebenwirkungen mündlich aufklären. Außerdem muss er – sofern
vorhanden – darüber aufklären, dass ein äquivalentes Fertigarzneimittel zur Verfügung steht. Hingegen wird der Arzt bei Fertigarzneimitteln bei der Aufklärung durch die Packungsbeilage
unterstützt. Grundsätzlich muss er nur über Risiken und Nebenwirkungen mündlich aufklären, die bei Realisierung die Lebensführung des Patienten schwerwiegend einschränken. Für die anderen
Nebenwirkungen reicht die Aufklärung mithilfe der Packungsbeilage.