Juni-Glosse

„Falsch verortet“ in der Sprüche-Sprache?

Und wieder fühlt sich der Hamburger Dermatologe Dr. Claus Dreessen an- und aufgeregt, Dinge zu glossieren, die ihm aufgefallen sind. Auch in unserer Juni-Ausgabe bleibt er nicht sprach-los.

Foto: Archiv
Dr. med. Claus Dreessen

Am Schluss dieses Artikels werden vielleicht auch Sie sagen, der Verfasser sei wohl „falsch verortet“, ewig gestrig, denn jede Zeit habe nun einmal ihre eigene Sprache, von zeitweiligen subkulturigen oder subkult-urigen Strömungen ganz zu schweigen. Ja und? Dann bin ich eben falsch verortet, was so viel heißen mag wie: ich bin auf dem Holzwege und nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Und genau das will ich auch nicht. Ich habe „null Bock auf Mainstream“, und weil ich weder Bauer noch Jäger oder Sammler bin, rase ich auch nicht jeder durchs Dorf getriebenen Sau hinterher. Dieses überlasse ich zu gerne sprechenden Papageien oder – um im Tierbild zu verbleiben – nachäffenden Leithammeln und Lemmingen; “falsch verortet“ das klingt irgendwie nach Vorort oder Seemannssprache, welche immerhin sich aus Überseefahrten in Kanaksprak-.und Kolonialländer zu einem missingsch-englisch gemausert hat, was heutzutage jedoch nach eloquenter Frankfurter Schule a la Adorno, Habermas und Co, nach Besserwisserei, Meinungsführerschaft und Wichtig-Getue klingt – und zwar „nachhaltig“. Nahezu täglich werden Sprach-Bastarde geboren, hirnrissige Neologismen, grauenhafte Dreschphrasen. Politiker, welche den Staat, die Stadt, den Stadtstaat, Gemeinden oder Gesetze „ein Stück weit“ vorangebracht haben, deren Partei für den kommenden Wahlkampf „gut aufgestellt“ sei, stehen permanent dabei an vorderster Front „in Sachen“ Schaumsprache. Dauer-Betroffenheits-Beauftragte empfinden kaum noch Entsetzen, Trauer oder Wut, sondern sind mittlerweile „unheimlich zornig“ und „voller Abscheu“. Deren penetrantes Gutmenschen-Gedöns wird von Tag zu Tag politisch korrekter und mutet gelegentlich selbst ein wenig „bildungsfern“ an. Klassiker sind bereits Wort-Windbeutel wie „total spannend“ oder „mega spannend“, die in jedes noch so unbedeutende Mikrophon gehustet werden. Weise Staatsfrauen und -männlein „holen uns“ verstockt herumstehende Mitbürger „draußen im Lande“ an bestimmten „Knackpunkten ab“ – wie wir Oma vom Bahnhof; sodann werden wir behutsam „mitgenommen“, bis auch wir dann endlich „mental angekommen“ sind an der Tatsache „dass wir das so nicht ableisten können“. Ergo „muss sie besser kommuniziert werden“, diese Art luftiger Verbal-Baisers. Danke sehr, „da bin ich ganz bei Ihnen, sach ich ma so“. Mein freundlich ausgesprochener Dank wird all überall mit einem negierenden „kein Problem“ gekontert. Hier werden Dumpf-Backen-Abnicksprüche wie „auf jeden Fall“, „auf alle Fälle“, „aber absolut“ in nicht geringerem Maße verortet wie Absonderungen oder Ausscheidungen von vor eminenter intellektueller Erhabenheit strotzender Antworten, angeführt und eingeleitet mit „ich denke..“, „ich denke mir..“, „ich denke mir mal..“, „ich denke mir mal so“… ;wie seinerzeit eingeführt vom Wiederholungszwang eines nahezu jeden zweiten Satzbeginns der guten Rita Süssmuth: „Iiich dennnke, esss isss wichchchtiiichch…“ blablablubb. Nicht weniger hyperinflationär mutiert der In-Begriff „Event“, der all das bezeichnet, was über den Amüsierfaktor eines Kindergeburtstages bei McDonald’s hinausgeht. Motorrad- oder Trucker-Gottesdienste im Hundsrück firmieren ebenso schon als Event wie winterliches An-grillen auf dem Campingplatz oder herbstliches Ab-angeln am Dorfweiher. Nicht zu vergessen die überkurz- oder langweiligen ein-themigen Fortbildungsnachmittage mit „Handouts“ und anschließendem trostlosem Prosecco-und Lachsschnittchen-Parlando. „Locker-flockig vom Hocker“ geht es auch hier zu mit teilweise oberpeinlichsten Wortentgleisungen an der Schmerzgrenze.Wie sagte doch Pippi Langstrumpf: Man muss sich schon eine Menge Mist anhören, bevor einem die Ohren abfallen! So hör und seh ich das.dreessendoc.com