Kongressbericht Knapp 1.400 Mediziner und Pflegefachkräfte nutzten beim 02. Nürnberger Wundkongress Anfang Dezember 2019 die Chance zur wissenschaftlichen Fortbildung beim komplexen Thema Wundversorgung sowie zum kollegialen Austausch untereinander. Anja Blankenburg fasst zusammen:
Herausforderungen und Hürden der Versorgung von Menschen mit chronischen Wunden wurden offen diskutiert, verschiedene erfolgreiche Modelle interdisziplinärer und interprofessioneller
Zusammenarbeit analysiert, aktuelle Daten vorgestellt, neue Erkenntnisse und vielversprechende Entwicklungen präsentiert.
Vor allem zeigt der „Wuko“ einmal mehr, dass „die Wunde“ vieler engagierter Experten sicher sein darf, die gemeinsam etwas bewegen können. WUNDEN – so zeigte sich und so hatte der
diesjährige Kongresspräsident Prof. Dr. med. Erwin Schultz, Nürnberg, der Tagung als Motto eingeschrieben – VERBINDEN. Unter den Schirmherrschaften der Deutschen Gesellschaft für Wundheilung
und Wundbehandlung e. V. (DGfW), der Initiative Chronische Wunden e. V. (ICW) und des Klinikums Nürnberg mit der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität bot der 02. Nürnberger
Wundkongress Ärzten und Fachkräften aller an der Wunde beteiligten Disziplinen und Professionen ein vielseitiges Update von aktuellen Standards bis zu innovativen Lösungen. 13 Hauptsitzungen
sowie 73 Seminare und Workshops hielt das abwechslungsreiche Tagungsprogramm vor. Zu den Highlights im wissenschaftlichen Bereich zählte in diesem Jahr die plasmamedizinische Versorgung
chronischer Wunden. Prof. Dr. med. Steffen Emmert, Rostock, erläuterte den Stand der Entwicklungen und bisherige Erfahrungen im klinischen Alltag.
In der Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Venerologie Rostock hat Plasma seit 2016 einen festen Platz im Rahmen der Standardversorgung. Kaltes Atmosphärendruckplasma, so Emmert, wirke
hocheffektiv gegen Bakterien, Viren und Pilze und selbst gegen multiresistente Keime, die Anwendung sei dabei vollkommen kontaktlos, schmerzfrei und denkbar einfach. Die Behandlung einer
quadratzentimetergroßen Wunde dauert nicht länger als eine Minute. Genug, um die Keimlast deutlich zu senken.
„Bisherige Daten weisen darauf hin, dass Plasma insbesondere die Wundheilung initiiert bzw. stagnierende Wunden neu anschiebt.“
Auch werde so der ph-Wert reduziert und die Geweberegeneration gefördert. Hauptsächlich scheinen Stickstoffspezies dafür verantwortlich, indem sie die Fibroblasten zur Zellteilung anregen, so
Emmert.
Etwa für vier Stunden nach der Plasmabehandlung sei zudem die Hautdurchblutung erhöht. „Die Plasmamedizin ist eine sehr innovative Ergänzung, weil sie mehrere Wirkprinzipien in einem vereint und
verschiedene günstige Effekte auf die Wunde zugleich erzielt“, sagt Emmert. Bisherige Daten weisen darauf hin, dass Plasma insbesondere die Wundheilung initiiert bzw. stagnierende Wunden neu
anschiebt. Viel Beachtung erfuhr auch das Schwerpunktthema „Neue Biomaterialien für die Wundversorgung“. Die Biologin Dr. rer. nat. Sarah Strauß, Hannover, bot hier einen spannenden Einblick in
die Forschung zu dem Amphibienenzym AmbLOXe, das nach Erkenntnissen der Wissenschaftler für die beispiellose Regenerationsfähigkeit des mexikanischen Schwanzlurches Axolotl verantwortlich ist.
Die Tiere, die ganze Gliedmaßen voll funktionsfähig erneuern können, gelten als wahre Wunderheiler, deren Geheimnissen man auf den Grund zu gehen und sie für die moderne Medizin nutzbar zu machen
sucht. Die Expression des Enzyms AmbLOXe, erläuterte Sarah Strauß, sei in regenerierendem Gewebe der Tiere stark erhöht. In vitro habe man auch bereits an menschlichen Zellen zeigen können, dass
sich mit AmbLOXe ein Wundspalt schneller verschließt. Zusammen mit Kollegen aus der technischen Chemie wurde das Enzym unterdessen in rekombinanten Escherichia-coli-Bakterien hergestellt. In
Zukunft könnte es so als Bestandteil von Hydrogelen oder Wundauflagen die Wundheilung auch beim Menschen beschleunigen, skizzierte Strauß denkbare Anwendungen. Der Lurch blieb nicht das einzige
Beispiel aus der Natur, an dem die Medizin sich gewiss gern etwas abgucken würde.
Das Amphibienenzym AmbLOXe ist nach Erkenntnissen der Wissenschaftler für die beispiellose Regenerationsfähigkeit des mexikanischen Schwanzlurches Axolotl verantwortlich.
„Ich möchte gewechselt werden.“
„Tradition vs. Moderne – Wie modern sind unsere Wundversorgungskonzepte eigentlich noch?“ – Unter diesem Titel resümierte PD Dr. med. Cornelia Erfurt-Berge, Erlangen, den Stand der
Dinge und die Zukunftsfähigkeit mancher revolutionär anmutenden Entwicklungen. Beispiel intelligente Wundverbände: „Wir werden Fasern im Nanobereich einbauen, die uns Informationen direkt aus der
Wunde liefern.“ So könne der Verband direkt ans Smartphone des Patienten – besser noch: des Pflegedienstes – melden: Ich möchte gewechselt werden! Die Parameter zu erheben sei nicht das
Problem, so Erfurt-Berge. „Aber noch wissen wir nicht, welches ist die optimale Temperatur, der ideale pH-Wert? Und kann ein Pflegedienst dann überhaupt so flexibel sein?“ Beispiel neue
Bioprodukte für Hautersatzverfahren: Die azellulären Matrizen aus Fischhaut etwa, wie sie inzwischen in Deutschland – ob bemerkenswerter Effekte einerseits, hoher Kosten andererseits –
verhalten Fuß fassen, bündeln unbestritten viele Vorteile biologischer Produkte. Sie sind hochkompatibel, abbaubar, lösen kaum eine Immunantwort aus, haben viele positive Funktionen und vereinen
oft verschiedene günstige Effekte in einem. „Andererseits habe ich als Dermatologin das Problem, dass ich diese problematischen Wunden nicht in einem Zustand sehe, in dem ich das anwenden
könnte“, so Erfurt-Berge. „Haben wir das Grundproblem nicht im Griff, helfen die teuren Produkte uns nicht.“
Die Kritik an bestehenden, zum Teil erfolgsbremsenden Strukturen begleitete freilich viele Referate und Diskussionen beim „Wuko“. Die Leidensgeschichte manch Betroffener zwischen Hausärzten,
Fachärzten, häuslicher Pflege, Krankenhäusern und Krankenkassen ließe sich oft bestenfalls als „chaotisch“ beschreiben, sagt der Internist und Diabetologe Dr. med. Günter Kraus,
Memmelsdorf/Drosendorf. Und dabei gilt doch – mit den Worten des Vorsitzenden der AG Fuß der Deutschen Diabetes Gesellschaft Prof. Dr. med. Ralf Lobmann, Stuttgart:
„Time is Bein!“ Einen weiteren Ansatz stellte Kraus mit dem Fußnetz Bayern vor, dessen zentralen Baustein eine webbasierte Patientenakte bildet, in der alle beteiligten Versorger nach klaren
Vorgaben arbeiten. Zugrunde liegt die Überlegung, dass im Netz der verschiedenen Behandlungswege und -ansätze zu viele Informationen verloren gehen, mehrfach erhoben oder nicht einheitlich in
Konsequenzen umgemünzt werden, was eine Verschwendung von Zeit und Ressourcen darstellt, den Patienten aber nicht weiterbringt. Ein Problem, welches auch die Deutsche Gesellschaft für Wundheilung
und Wundbehandlung e. V. (DGfW) übergeordnet zu ändern sucht und ein entsprechendes umfassendes Konzept zur Überwindung bestehender Systemhürden vorstellte. So bot das umfangreiche und sehr gut
genutzte Workshop-Angebot unterschiedlichste Gelegenheiten, spezielles Know-how zu studieren und auszuprobieren: Es wurde debridiert (unter anderem mit Goldfliegenlarven), druckverbunden,
diagnostiziert und dokumentiert, es wurden arterielle Drücke gemessen, diverse Wundauflagen sondiert oder Tipps zur psychischen Hygiene oftmals stark strapazierter Pflegekräfte vermittelt.
Erfolgreiches Konzept
Für Tagungsleiter Schultz hat sich das Modell „Wuko“ bei der zweiten Auflage absolut bewährt. „Mein Vorgänger Prof. Dr. med. Bert Reichert hat ein erfolgreiches Konzept auf den Weg gebracht, an
das ich sehr gern anknüpfe“, sagte er zur Kongresseröffnung – und resümierte hinterher eine rundum gelungene Veranstaltung. Gemäß der Wuko-Konzeption rotiert die Tagungsleitung unter den
beteiligten Fachgebieten. 2020 – das lohnt sich in jedem Fall schon heute vorzumerken – findet der dann 03. Nürnberger Wundkongress vom 3. bis 5. Dezember unter der
wissenschaftlichen Leitung von Univ.-Prof. Dr. med. Hermann Josef Bail, Leiter der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität, statt.
Kontakt
Anja Blankenburg
Tel.: 03641 – 31 16 – 283