ILDS-/EDF-Leitlinie zur Behandlung aktinischer Keratosen
Die GD Task Force „Licht.Hautkrebs.Prävention” bewertet die internationale Leitlinie zur Behandlung aktinischer Keratosen kritisch. Der Vorsitzende der GD-Gesellschaft für Dermopharmazie, Dr. rer. nat. Joachim Kresken, Viersen, erläutert, warum.
Unter dem Titel „Evidence- and consensus-based (S3) guidelines for the treatment of actinic keratosis“ gaben die „International League of Dermatological Societies“ (ILDS) und das „European
Dermatology Forum“ (EDF) im Juli 2015 eine neue internationale Leitlinie zur Therapie der aktinischen Keratose heraus. Sie wurde von der GD Task Force „Licht.Hautkrebs.Prävention“, einer
Expertengruppe der Gesellschaft für Dermopharmazie, die sich seit Jahren auf dem Gebiet der Prävention und Therapie von hellem Hautkrebs engagiert, einer kritischen Bewertung unterzogen. Dabei
kam die Task Force zu dem Schluss, dass die neue Leitlinie zwar einige Stärken, aber auch erhebliche Schwächen aufweist und dem Anspruch an eine S3-Leitlinie nicht gerecht wird. Die Task Force
empfiehlt deshalb, die Inhalte der Leitlinie nicht unkritisch auf bestehende nationale Leitlinien zu übertragen, sondern sie lediglich als Basis für neue nationale Leitlinienvorhaben
heranzuziehen.
Bei einem Seminar der GD Task Force zum Thema „Neues zur Therapie von hellem Hautkrebs“ im Rahmen der 20. GD-Jahrestagung vom 14. bis 16. März 2016 in Berlin machte der Sprecher der Task Force,
Prof. Dr. med. Thomas L. Diepgen, Heidelberg, deutlich, was bei Leitlinien zu aktinischen Keratosen zu beachten ist. Dabei sprach er sowohl allgemeine Aspekte zu medizinischen Leitlinien als auch
die Stärken und Schwächen der vorliegenden ILDS-/EDF-Leitlinie an.
Medizinische Leitlinien gewinnen an Bedeutung
Diepgen machte deutlich, dass medizinische Leitlinien eine immer größer werdende Rolle bei der Behandlung von Patienten spielen. In Deutschland haben sie mit dem im Februar 2013 in Kraft
getretenen Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten (Patientenrechtegesetz) entscheidend an Bedeutung gewonnen. In der Gesetzesbegründung wird auch auf Leitlinien
verwiesen: „Für Ärzte ist im Regelfall auf den jeweiligen Stand naturwissenschaftlicher Erkenntnis und ärztlicher Erfahrung abzustellen, der zur Erreichung des Behandlungsziels erforderlich ist
und sich in der Erprobung bewährt hat. Maßgeblich sind insoweit regelmäßig Leitlinien, die von wissenschaftlichen Fachgesellschaften vorgegeben werden.“
Leitlinien müssen bestimmte Vorgaben erfüllen
Leitlinien beruhen auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen und in der Praxis bewährten Verfahren. Sie sorgen für mehr Sicherheit in der Medizin, sollen aber auch ökonomische Aspekte
berücksichtigen. In Deutschland werden sie entsprechend dem Votum des „Medizinischen Sachverständigenrats im Gesundheitswesen“ im Wesentlichen durch die wissenschaftlichen Fachgesellschaften
erstellt, die in der „Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften“ (AWMF) organisiert sind.
Von der AWMF wird eine Hierarchie von medizinischen Leitlinien vorgegeben (siehe Tabelle S.2). Danach werden Handlungsempfehlungen vonExpertengruppen (S1-Leitlinien), konsensbasierte Leitlinien
(S2k-Leitlinien), evidenzbasierte Leitlinien (S2e-Leitlinien) sowie evidenz- und konsensbasierte Leitlinien (S3-Leitlinien) unterschieden.
Die für die Erarbeitung einer Leitlinie verantwortliche Arbeitsgruppe soll ausgewogen zusammengestellt sein, um Probleme des ärztlichen Handelns in der Praxis umfassend zu identifizieren und
mögliche Verzerrungen zu vermeiden. Dies geschieht häufig durch die Einbeziehung unterschiedlicher Fachgesellschaften (Interdisziplinarität) und von Patientenvertretern oder
Selbsthilfegruppen.
Abhängigkeiten und Interessenkonflikte, etwa durch eine Zusammenarbeit der Autoren mit Industrieunternehmen im Rahmen von Studien und Beratertätigkeiten, sind offenzulegen. Das Gleiche gilt bei
Finanzierung von Studien durch Unternehmen der Gesundheitswirtschaft oder durch Versicherungen.
Zur aktinischen Keratose (AK) liegt in Deutschland derzeit eine von der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft (DDG) herausgegebene S1-Leitlinie vor, an deren Erarbeitung die GD Task Force
beteiligt war. Obwohl diese Leitlinie in Erwartung der internationalen ILDS-/EDF-Leitlinie inhaltlich seit 2011 nicht mehr aktualisiert wurde, hat das Leitliniensekretariat ihre Gültigkeit im
Januar 2016 bis Dezember 2016 verlängern lassen.
Die ILDS-/EDF-Leitlinie weist methodische Schwächen auf
Als primäres Ziel der ILDS-/EDF-Leitlinie wird angegeben, Therapieempfehlungen für verschiedene Subgruppen von AK-Patienten zu geben. Darüber hinaus will die Leitlinie dazu beitragen, das
aktuelle Wissen zur AK in die Praxis zu übertragen. Zielgruppe der Leitlinie sind alle Ärzte, die in die Diagnostik und Therapie von AK-Patienten involviert sind, vor allem Dermatologen,
Histopathologen und Allgemeinmediziner.
Das erwähnte Vorhaben der Leitlinie stuft die GD Task Force als sehr verdienstvoll ein. Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass die Leitlinie neben einigen weiteren Stärken eine Reihe von
Schwächen aufweist und dem Anspruch an eine S3-Leitlinie nicht gerecht wird (siehe Tabelle).
Evidenzbasis der ILDS-/EDF-Leitlinie ist ein systematischer Cochrane-Review aus dem Jahre 2012. Da dieser lediglich die bis zum 25. Januar 2013 erschienene Literatur einbezieht, fanden später
publizierte Studien keine Berücksichtigung. Dies schränkt die Evidenzbasis erheblich ein, eine Aktualisierung der Literatur ist dringend erforderlich. Hinzu kommt, dass viele der zitierten
Studien erhebliche methodische Mängel aufweisen und daher vorsichtig zu interpretieren sind.
Unabhängig davon können viele relevante Fragen nicht aus der Evidenzbeurteilung des Cochrane-Reviews beantwortet werden. Stattdessen werden als konsensbasiert gekennzeichnete Empfehlungen auf der
Basis von Expertenmeinungen gegeben, die analog den evidenzbasierten Empfehlungen diskutiert, graduell bewertet und einem formalen Konsensprozess unterzogen werden.
Dieses Vorgehen setzt jedoch ein repräsentatives Expertengremium voraus. So werden normalerweise bei Leitlinienvorhaben die betroffenen Fachgesellschaften angeschrieben und um Entsendung eines
Delegierten gebeten. Außerdem werden eine Patientenvertretung und ein unabhängiger, nicht zum Autorenteam gehörender Moderator involviert. All dies war bei der ILDS-/EDF-Leitlinie offensichtlich
nicht der Fall.
Die Grundlage für evidenz-basierte Empfehlungen fehlt
Eine weitere Schwäche der Leitlinie ist, dass kein objektiver Konsensprozess durchgeführt wurde. Eigentlich sollten alle Empfehlungen in einem formalen Konsensprozess unter Einbeziehung eines
unabhängigen Moderators diskutiert und anschließend in einem Abstimmungsprozess (Nominal Group Technique) konsentiert werden. Dabei können divergierende Meinungen geäußert werden,
Minderheitsvoten sind möglich.
Wichtig bei konsensbasierten Empfehlungen ist es auch, die Stärke des Konsenses zu beurteilen. Üblicherweise gelten 75 bis 95 Prozent Übereinstimmung als Konsens, während eine Übereinstimmung von
über 95 Prozent als starker Konsens gewertet wird. Dagegen werden in der ILDS-/EDF-Leitlinie Übereinstimmungswerte von größer/gleich 50, größer/gleich 75 und größer/gleich 90 Prozent angegeben.
Dabei fällt auf, dass viele Empfehlungen nur auf einem Konsens von größer/gleich 75 Prozent und manche sogar nur auf einem Konsens von größer/gleich 50 Prozent beruhen. Dies zeigt, wie heterogen
teilweise die Expertenmeinung ist und dass die Grundlage für eine evidenzbasierte Empfehlung fehlt.
Positiv hervorzuheben ist jedoch die vorgeschlagene Klassifikation von vier Patientengruppen für die Behandlung. Dabei werden, basierend auf einem Konsens von größer/gleich 90 Prozent, folgende
Patientengruppen unterschieden:
Es werden zusätzliche nationale Leitlinien benötigt
Ein allgemeines Problem von internationalen Leitlinien ist, dass landesspezifische Unterschiede in der Zulassung von Arzneimitteln und in der Vergütung ärztlicher Leistungen vorliegen können.
Werden zulassungsüberschreitende Therapieempfehlungen (Off-Label-Use) gegeben, sollte dies durch entsprechende Hinweise ersichtlich sein. Solche Hinweise fehlen in der ILDS-/EDF-Leitlinie, obwohl
sie sowohl für Ärzte als auch für Patienten eine wichtige Information darstellen. Um landesspezifische Besonderheiten besser berücksichtigen zu können, empfehlen die Autoren, die vorliegende
internationale Leitlinie in entsprechende nationale Leitlinien umzusetzen. Nach Auffassung der GD Task Force sollten die Inhalte der Leitlinie jedoch nicht unkritisch auf bestehende nationale
Leitlinien übertragen werden, sondern lediglich als Basis für neue nationale Leitleitlinienvorhaben dienen.Erfreulicherweise haben die DDG und die Deutsche Krebsgesellschaft (DKG) im Januar 2016
unter dem Titel „Aktinische Keratose und Plattenepithelkarzinom der Haut“ eine neue deutsche S3-Leitlinie bei der AWMF angemeldet. Dafür wurde in einem repräsentativen Prozess über die
betroffenen Fachgesellschaften inzwischen eine Expertengruppe berufen, die ihre Arbeit bereits aufgenommen hat.
Stärken und Schwächen der ILDS-/EDF-Leitlinie zur aktinschen Keratose
Stärken
Schwächen