Die Video-Sprechstunde ist „tot“...
Der Dermatologe Dr. med. Ralph von Kiedrowski, Selters, Pressereferent des BVDD, erläutert den derzeitigen Stand der Dinge bei der Teledermatologie.
Die Abwandlung der französischen Heroldsformel „Le roi est mort, vive le roi“, mit der eigentlich die Kontinuität der französischen Erbmonarchie zum Ausdruck gebracht werden sollte, kommt einem
automatisch in den Sinn, wenn man die letzten zwei Jahre Innovations-Entwicklung des BVDD zu diesem Thema und das Ergebnis, nämlich die Einführung der EBM-Ziffern 01439 und 01450 zum
1. April 2017 als GKV-Leistung, gegenüberstellt. Resümee: wieder mal ein Armutszeugnis für die ärztliche Selbstverwaltung in Berlin, auch KBV genannt, wenn es um Verhandlungskompetenz
gegenüber dem Spitzenverband Bund der (gesetzlichen) Krankenkassen geht und ein „Schlag ins Gesicht“ für die Politik, die die innovative Potenz der Telemedizin für die aktuelle und zukünftige
Gesundheitsversorgung durch Telemedizin erkannt hat und mit der Verankerung im eHealth-Gesetz kurzfristig umsetzen wollte.
Was bleibt, ist die gesundheitspolitische Pionierarbeit des Berufsverbandes mit einer klaren Positionierung zur Teledermatologie inkl. einer entsprechend ausgearbeiteten Guidance für Best
Practice in diesem Bereich.
Dr. med. Ralph von Kiedrowski:
„Unsinnige Bürokratie, stringente Mengenbegrenzungsideen und abstruse Honorierungsansätze verunsichern die Vorstände von BVDD und DDG.“
Nur ein Depp hat keine App
Aber gehen wir zum besseren Verständnis zwei Jahre zurück ins Jahr 2015: Medizinische Apps drängen zunehmend in den Markt, „nur ein Depp hat keine App“; besondere Beachtung findet ein Portal
aus dem Münchner Raum, dass gegen Honorar mit dermatologischer Expertise Diagnosen anhand eingesandter Fotografien innerhalb weniger Stunden stellt. Schnell regen sich Bedenken hinsichtlich des
Fernbehandlungsverbots in unserer Berufsordnung. Aber auch im täglichen Praxisablauf mehren sich die unaufgefordert zugesandten Fotografien von Patienten zur Verlaufsbeobachtung verschiedener
Erkrankungen oder um dringliche Terminanfragen zu untermauern. Es bedurfte nicht nur (berufs-)rechtlicher Klärungen, sondern schnell war DDG und BVDD klar, dass Telemedizin für ein innovatives,
visuelles Fach wie die Dermatologie ein bedeutsames Thema sein würde, sodass beide Fachgesellschaften schon im Juli 2015 zum 1. Telemedizinischen Symposium in der Dermatologie nach
Berlin einluden. Eine Analyse des Status Quo von Prof. Dr. med. Matthias Augustin vom CVderm zeigt schon bei diesem Treffen Erstaunliches: Zum einen wurde der Bedarf dokumentiert:
Demografieentwicklung mit steigendem Versorgungsbedarf, vor allem in der Fläche, und der zunehmende Ärztemangel auch in unserer Fachgruppe, zum anderen definieren der Bedeutung neuer
Versorgungsformen im Sinne von Prozessinnovationen. Schon heute besteht bei über 2.000 Hauterkrankungen und steigender Hautkrebsinzidenz ein Behandlungsbedarf bei ca. 25 % der Bevölkerung,
nominell sind dies schon heute 18 Millionen Patientenkontakte! Erste teledermatologische Ansätze existieren bereits aus dem Jahre 1995, in der Literatur fanden sich 2015
67 Originalarbeiten zur Evidenz, die bei 82 % der Studien Gleichwertigkeit und bei 28 % sogar eine Überlegenheit der Teledermatologie bescheinigten. Die 15 Teilnehmer dieses Meetings
(Juristen, Gematik, Bundesärztekammer, KBV, Telekom Healthcare Solution, IstAD sowie DDG und BVDD) verabschiedeten ein vielbeachtetes Positionspapier. Hierin waren bereits die gesetzlichen
Rahmenbedingungen nebst Anforderungen für die notwendigen normativen Klarstellungen seitens des Gesetzgebers, die technischen Voraussetzungen, eine Nutzenanalyse und optionale Anwendungsbereiche
in unserem Fachgebiet definiert worden. Das Interesse auch bei den Kostenträgern war von Anfang an groß: Schon im November startete ein Pilotprojekt mit der Techniker Krankenkasse und dem
Online-Dienstleister Patientus.de zur Videosprechstunde in der Dermatologie, das zum April 2016 bundesweit ausgerollt wurde. Das Interesse der Printmedien sowie von Funk und Fernsehen an
diesem innovativen Projekt war ebenfalls riesengroß, genauso wie bei zahlreichen Patienten.
Imagegewinn für die gesamte Fachgruppe
Videosprechstunde: Von Anfang an ein Image-Gewinn für die gesamte Fachgruppe und plötzlich auch ein „Türöffner“ für den BVDD im Gesundheitsministerium, wo ebenfalls das Potenzial für die
zukünftige Patientenversorgung gesehen und die Kompetenz der dermato-logischen Fachgesellschaften anerkannt wurde.
Info Teledermatologie
Letztlich bedeutet Teledermatologie mehr als nur Video-Sprechstunde, deshalb werden die Fachverbände BVDD und DDG an diesem Thema dranbleiben, die Guidance weiterentwickeln und nach anderen/neuen
Einsatzmöglichkeiten zur Lösung für die drängenden Versorgungsprobleme der Demografie und der Landarztflucht in der Dermatologie und gesamten Medizin suchen.
Überraschend fand sich schon kurze Zeit später die Telemedizin im e-Health-Gesetz (Gesetz für sichere digitale Kommunikation und Anwendungen im Gesundheitswesen) wieder, mit einem klaren Auftrag
bzgl. der Implementierung dieser Versorgungsform im EBM und dies noch in der laufenden Legislaturperiode und vor der Bundestagswahl, nämlich zum 1. Juli 2017. Auf solch klare Vorgaben und
politischen Umsetzungsdruck wartet die Ärzteschaft z. B. in puncto GOÄ seit Jahren.
Erfahrungen sammeln konnten die Praxen zunehmend im letzten Jahr im Rahmen des Selektivvertrages mit der Techniker-Krankenkasse. Die Video-Plattform Patientus.de wurde optimiert.
Nach anfänglicher Zurückhaltung der Fachgruppe stellten sich zahlreiche Kolleginnen und Kollegen auch in ihren Praxisabläufen und Terminsystemen auf dieses neue Angebot ein, der bürokratische
Aufwand des trilateralen Vertrages (TK, Patientus und Abrechnungsinstitution PVS oder BFS Healthcare) und durch die einmalige Einschreibung der Patienten in den Selektivvertrag (Forderung des
Bundesversicherungsamtes BVA) hielt sich in Grenzen, der technische Aufwand war zu stemmen und wurde letztlich durch eine attraktive Vergütung von 19,50 € pro Video-Konsultation belohnt.
Positionspapier der Dermatologie zu einer konsentierten Telemedizin
Und während die Umsetzung dieser teledermatologischen Anwendung in Deutschland Fahrt aufnimmt, beginnen zum einen die EBM-Verhandlungen zwischen KBV und Kostenträgern, zum anderen findet Ende
November das 2. Telemedizin-Symposium, wieder auf Einladung von BVDD und DDG, statt, an dem zahlreiche Experten verschiedenster Institutionen teilnehmen mit dem Ziel, das Positionspapier der
Dermatologie zu einer konsentierten Telemedizin Guidance weiterzuentwickeln. Und die Teilnehmerliste ist diesmal fast noch prominenter, finden sich am 23.11.16 doch auch Vertreter des
Ministeriums, der Deutschen Gesellschaft für Medizinrecht, aber auch von Kostenträgern, der Bertelsmann-Stiftung, der KBV und der BÄK in Berlin ein.
Nachrichten zur EBM-Implementierung verunsichern die Öffentlichkeit
Erste Schatten fallen Anfang 2017 auf die dermatologisch vorangetriebene Versorgungsinnovation: Während die Ausarbeitung der Best Practice-Guidance vorankommt und die geplante Publikation
Formen annimmt, verunsichern Nachrichten zur EBM-Implementierung aus dem KBV-Bewertungsausschuss die Öffentlichkeit: unsinnige Bürokratie, stringente Mengenbegrenzungsideen und abstruse
Honorierungsansätze verunsichern die Vorstände von BVDD und DDG genauso wie die Fachgruppe. Auch letzte Interventionsversuche auf Ministeriumsebene können dann aber das Ergebnis der
EBM-Legendierung nicht mehr positiv verändern.
Alle, die Innovationen ausbremsen wollen, haben sich durchgesetzt!
Und alle, die Innovationen ausbremsen wollen und die auch nicht an einer kurz- und mittelfristigen Verbesserung der Patientenversorgung interessiert sind, haben sich durchgesetzt! Nicht zuletzt
die Kostenträger: Mag noch die Indikations-Legendierung und Fachgruppen-Liste halbwegs akzeptabel und erwartungsgemäß zunächst ein Qualitäts-Nachweis gemäß Anlage 31b des Bundesmantelvertrags vom
Vertragsarzt zu erbringen sein; das Bürokratie-Monster einer beim Patienten (vorher) einzuholenden Einwilligung in die Datenerhebung, -verarbeitung und -nutzung entspricht nicht wirklich der
generellen Forderung, Bürokratie in den Arztpraxen zu reduzieren. Dabei ist jedwede Aufzeichnung und Speicherung von Inhalten der Video-Sprechstunde, z. B. aus forensischen oder simplen
Dokumentations-Gründen, strikt untersagt.
Kontrolle im gleichen Quartal ist nicht gesondert berechnungsfähig
Wer bis hierhin aber noch innovativ vorausdenkt, dem vergeht spätestens bei der eigentlichen EBM-Implementierung das Lachen, obwohl der BVDD-Präsident das Ergebnis in einer ersten
BVDD-Pressestellungnahme als „Posse“ bezeichnet – und darüber lacht mach ja gewöhnlich.
Die eigentliche Videosprechstunde soll mit der GOP 01439 (88 Punkte = 9,27 €) innerhalb der MGV, also der Praxisbudgets, abgerechnet werden können. Eine Kontrolle im gleichen Quartal ist in der
fachärztlichen Grundpauschale enthalten, also nicht gesondert berechnungsfähig, sondern nur in den beiden Folgequartalen nach einem persönlichen Arzt-Patientenkontakt (APK).
„Technikpauschale“ kann bei jeder Video-Sprechstunde in Ansatz gebracht werden.
Erfolgt eine solche Video-Konsultation z. B. am Quartalsanfang und kommt der Patient im Verlauf der Erkrankung doch nochmal persönlich in die Praxis, muss die Ziffer 01439 wieder gestrichen
werden.Verbleiben würde die zweite Ziffer, die GOP 01450, auch „Technikpauschale“ genannt, die mit 40 Punkten entsprechend 4,21 € dotiert ist. Sie kann bei jeder Video-Sprechstunde in
Ansatz gebracht werden, auch im gleichen Quartal, und wird außerhalb der MGV vergütet, ist aber auf 200 € im Quartal begrenzt, was letztlich ca. 47 Videokonsultationen pro Quartal in dieser
Praxis (auch bei mehreren Ärzten) entspricht. Von diesem Betrag sind aber die fixen Kosten für den Videodienstanbieter (also nix FaceTime, Skype oder so), die eigene Technik und Logistik und ggf.
auch höhere Haftpflichtbeiträge je nach bestehender Praxisversicherung zu begleichen.
So geht Innovation
Alles verstanden? So geht Innovation im deutschen Gesundheitssystem, begleitet von „Eigenlob“ der Verhandlungspartner, die Leistung ein Quartal früher als im e-Health-Gesetz gefordert eingeführt
zu haben. Klasse! Aber nicht immer bedeutet Schnelligkeit auch Qualität.
Bestehende Angebote werden zum Jahresende wohl eingestellt werden
Es ist zu erwarten und letztlich auch dazu zu raten – unter diesen betriebswirtschaftlichen Rahmenbedingungen – eine solche Leistung im GKV-Bereich nicht anzubieten; bestehende Angebote
werden mit dem Auslaufen des TK-Vertrages zum Jahresende wohl auch eingestellt werden.
Nach anderen, neuen Einsatzmöglichkeiten suchen
Letztlich bedeutet Teledermatologie aber mehr als nur Video-Sprechstunde, deshalb werden die Fachverbände an diesem Thema dranbleiben, die Guidance weiterentwickeln und nach anderen/neuen
Einsatzmöglichkeiten zur Lösung für die drängenden Versorgungsprobleme der Demografie und der Landarztflucht in der Dermatologie und gesamten Medizin suchen.
Kontakt
Dr. med. Ralph von Kiedrowski
Kirchstraße 1
56242 Selters/Ww.
(0 26 26) 921450
r.vonkiedrowski@bvdd.de