Spinnenseide auf die Wunde

Forschung Spinnenseide könnte für die Wundversorgung gute Dienste leisten. Sie beschleunigt die Wundheilung, löst nur eine sehr geringe Immunantwort aus und wird vom Körper rückstandslos
abgebaut. Den aktuellen Stand der Forschung gab es beim 2. Nürnberger Wundkongress zu erfahren.

Der Spinnenfaden wirkt fungizid und wundheilungsfördernd bei nur geringer Immunantwort. (Foto: Medizinische Hochschule Hannover/Malte Fließ)
Der Spinnenfaden wirkt fungizid und wundheilungsfördernd bei nur geringer Immunantwort. (Foto: Medizinische Hochschule Hannover/Malte Fließ)

Eigene kleinere Verletzungen, zugezogen etwa am heißen Backblech, verarztet Dr. rer. nat. Sarah Strauß, Hannover, selbst: ein wenig Spinnenseide in die Wunde, abgedeckt mit etwas Fettgaze, ein Pflaster oder Verband zur Fixierung. Die Biologin leitet das „Spider Silk Laboratory“ der Medizinischen Hochschule Hannover und ist überzeugt vom Wert der Spinnenseide für die Medizin. Aufgrund ihrer jahrelangen Forschung – und diverser Selbstbeobachtungen. Die Verbrennungswunde am Arm – obwohl recht tief – heilte rasch und ohne eine Narbe zu hinterlassen.
Seit gut 15 Jahren wird unter dem Dach des Kerstin Reimers Labors an der Klinik für Plastische, Ästhetische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie Regenerationsbiologie zu Spinnenseide geforscht. Anfangs wurde das Interesse der Wissenschaftler an den Achtbeinern von manchen Mediziner-Kollegen belächelt, so Strauß: „Die spinnen.“ Doch machte das Forscherteam unter Leitung von Prof. Dr. med. Peter Vogt bald mit bemerkenswerten Erfolgen auf sich aufmerksam. Dabei waren die Spinnen eher ein Zufallsfund – auf der Suche nach Möglichkeiten, geschädigte periphere Nerven zu regenerieren: Die ersten Exemplare holte man sich aus dem Zoologisch-Botanischen Garten Stuttgart. Weil das mit der Seide tatsächlich prima klappt, experimentieren die Wissenschaftler weiter mit dem Material. Es stellt sich als hoch biokompatibel, sehr heilsam und vielseitig verwendbar heraus: geeignet als Wachstumsmatrix für Gewebe wie künstliche Haut oder Knorpel oder als chirurgisches Nahtmaterial, Fäden, die nicht gezogen werden müssen, weil sie vom Körper vollständig resorbiert werden. Auch als Herniennetz hat sich der Wunderfaden im Tiermodell schon bewährt. Noch wird die Seide nicht zur klinischen Prüfung am Menschen eingesetzt. Die Vorbereitungen dafür aber laufen. Dass Spinnenseide den Heilungsprozess einer Wunde verkürzt, wussten schon die alten Römer und machten es sich zunutze. Allerdings: Die Fäden zur Anwendung einfach von der Wand zu pflücken, davon rät die Biologin ab. Im Reimers Labor wird das Naturprodukt zunächst gereinigt und sterilisiert, ehe es zum Einsatz kommt. Was sich dann in der Wunde beobachten lässt: Blutungen werden rasch gestoppt und zugleich eine Vielzahl kleiner Kapillaren, feinster Blutgefäße rekrutiert, wodurch das sich neu bildende Gewebe besser versorgt und in kürzerer Zeit eine dickere Epidermis gebildet wird. Dass das auch in einer großflächigen Akutwunde beim Schaf funktioniert hat, wertet Strauß als gewichtigen Beleg für die Heilkraft des Spinnenfadens. „Schafe sind nicht gerade Wundheilkünstler.“ Für ihre Forschung halten Strauß und Kollegen in einem eigens hergerichteten 30 qm großen „Spinnenwohnzimmer“ eigene Tiere aus der Familie der Goldenen Radnetzspinne. Bis zu 150 Exemplare bewohnen das kleine Paradies ohne natürliche Feinde und mit Futter frei Haus. Im Gegenzug werden die Weibchen zweimal pro Woche „gemolken“: Dafür wird der für die Medizin besonders interessante – weil nicht klebrige – Halte- oder Notfallfaden, den die Spinne zum schnellen Abseilen produziert, mithilfe eines kleinen Motors auf eine Spindel gewickelt. Die Prozedur ist den Tieren vertraut und schmerzfrei. In einer Viertelstunde lassen sich so bis zu 200 Meter Seide gewinnen. Ein höchst erstaunliches Produkt: 0,002 mm im Durchmesser, enorm strapazierfähig und flexibel, bakteriostatisch und fungizid, es wirkt wundheilungsfördernd und löst nur eine geringe Immunantwort aus. Es könnte für die Wundheilung künftig gute Dienste leisten.                                                                                      |ab

(Foto: privat)
(Foto: privat)

Kontakt
Dr. rer. nat. Sarah Strauß
MHH Klinik für Plastische,
Ästhetische, Hand- und
Wiederherstellungschirurgie
Tel.: 0511 – 53-88 63