Gastkommentar Im Zusammenhang mit den von Manchem doch als recht sportlich angesehenen Aktivitäten des derzeitigen Bundesministers für Gesundheit, Jens Spahn, fiel der Redaktion von DERMAforum ein Beitrag auf dem Medizinportal univadis.de auf, den wir mit Genehmigung der Redakteure hier als Gastkommentar veröffentlichen:
Und so geht die Choreografie: Zuerst besucht der Minister persönlich den Akteur. Höflichkeitsfloskeln werden vor Publikum ausgetauscht und die Wichtigkeit des Akteurs betont – Kritik kommt auch
vor. Tage später löst der Minister Alarmstimmung mit einem Gesetzentwurf aus. Dieser Ablauf hat sich eingespielt. Ein Masterplan im Hause Spahn wird langsam erkennbar. Im Zentrum der Reformen
steht die Selbstverwaltung.
Ein kurzes Update zu den neuesten Plänen
Es hat geradezu den Anschein, als wolle Spahn die Gegenwehr der Selbstverwaltung lähmen, indem er sie kontinuierlich mit neuen Reformentwürfen belegt und gern auch mal Regelungen in Gesetzen
„versteckt“, die man dort gar nicht in dem Kontext vermuten würde. Frei nach dem Motto: „Damit sich etwas ändert, muss man etwas anders machen.“ Spahn hat die Selbstverwaltung auf dem Kieker –
und zwar sowohl den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) als auch die Verwaltungsräte in den Krankenkassen. Sie sind ihm deutlich zu langsam, zu wenig an den Bedürfnissen der Versicherten
ausgerichtet und bürokratielastig. Mit seinen in Gesetzentwürfen formulierten Ideen will er das System modernisieren.
Operation zur Liposuktion wird übernommen – Basta
Dass Spahn den G-BA im Visier hat, zeigt sich bei dem ministeriellen Durchgreifen zur Liposuktion. (Siehe Titel DERMAforum 06/2019) Betroffenen Frauen (Stufe 3) wird eine Operation finanziert.
Basta. Evidenz soll nachgeliefert werden. Politische Einflussnahme statt Evidenz fürchten die Selbstverwalter, wenn sein Gesetzesvorschlag zur Rechtsverordnung in Leistungsfragen Gesetz
wird.
G-BA : Zuschauer via Internet live dabei
Wie der Vorstoß am Ende ausgehen wird, ist noch offen. Als sicher hingegen kann sein jüngster Vorschlag gelten: Für mehr Transparenz und Teilhabe verordnet der Minister dem G-BA einen
Live-Mitschnitt im Internet bei öffentlichen Sitzungen – wie bei Bundestagsdebatten. Die Sitzungen sind darüber hinaus jederzeit in der Mediathek abrufbar.
MDK unabhängig von Krankenkassen machen
Ein ganzes Reformwerk legt das Bundesgesundheitsministerium (BMG) zum Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) vor. Er wird künftig nicht mehr als Arbeitsgemeinschaft von den Kassen geführt,
sondern erhält den eigenständigen Status einer Körperschaft öffentlichen Rechts. Nicht nur Ärzte und Krankenhäuser, auch Patienten hatten den MDK als verlängerten Arm der Kostenträger
gesehen.
Außerdem reagiert Spahn auf die Klagen der Krankenhäuser, die sich regelrecht in einer Abwehrschlacht gegen die zeit- und personalintensiven MDK-Kontrollen sehen. Ab 2021 ist vorgesehen, dass bei
Häusern, deren Abrechnungen zu mehr als 60 Prozent korrekt sind, nur noch höchstens 5 Prozent der Rechnungen geprüft werden dürfen. Die Zahl der Prüffelder soll zudem verringert werden. Ambulante
Behandlungen durch Krankenhäuser sollen gefördert werden. Dazu bekommen die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und der GKV-Spitzenverband (GKV-SV)
den Auftrag, bis zum Juli 2021 den Katalog der ambulanten Operationen und stationsersetzenden Eingriffe zu überarbeiten und zu erweitern und auf den Stand der aktuellen medizinischen Erkenntnisse
zu bringen. Für Vertragsärzte und Kliniken soll es für die AOP-Leistungen eine einheitliche Vergütung geben, die nach dem Schweregrad der Fälle differenziert ist.
AOK bundesweit öffnen
Mit einem „Gesetz für eine faire Kassenwahl“ will der Minister den Wettbewerb unter den Krankenkassen anheizen. Darin werden nicht nur die Regeln für den Verteilungsschlüssel der GKV-Gelder neu
aufgestellt. Der morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich wird in ein Vollmodell überführt, statt nur 80 Krankheiten zu berücksichtigen. Für einen fairen Wettbewerb sollen die Allgemeinen
Ortskrankenkassen (AOKs) bundesweit geöffnet werden. Denn dann stehen sie unter der Aufsicht des Bundesversicherungsamts wie andere Mitbewerber. Deals mit dem heimischen Landesministerium sind
somit passé. Klar, dass die Länder umgehend Protest eingelegt haben. Bis heute ist noch nicht klar, ob das Gesetz im Bundesrat zustimmungspflichtig ist.
Die Hausjuristen des Bundesgesundheitsministeriums sagen: „Nein.“ Andere sehen sehr wohl eine Zustimmungspflicht. Auf die Art und Weise kommt der Minister, der höhere Ämter anstrebt, auch mit den
wichtigsten der 16 Ministerpräsidenten ins Gespräch. Genug Masse für Deals gibt es jedenfalls, denn auch Krankenhäuser stehen auf der Agenda – der Länder liebste Kinder. Oder ist das doch die
AOK, die schon über bis zu drei Ländergrenzen hinweg fusioniert hat?
Profis statt Ehrenamtler
Das Ende der Selbstverwaltung heutigen Typus in der GKV will Spahn ebenfalls einleiten. Profis aus den Kassenvorständen sollen dort die Aufsicht über den GKV-SV-Vorstand übernehmen und nicht die
Arbeitgeber- und Versichertenvertreter, die aus Sozialwahlen hervorgegangen sind.
Frank Firsching von der AOK Bayern meint mit Sicht auf den Minister: „Er hat uns vor sechs Wochen frech ins Gesicht gelogen.“ Denn wenige Wochen zuvor war Jens Spahn zu Gast und hat die
Selbstverwaltung als wichtigen Akteur gelobt. Die Besuchsliste des Ministers für dieses Jahr ist noch lang …
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