Was ist gesichert zu Epidemiologie und Prävention von Allergien?

Die Mischung macht´s

Vertretungsweise für Prof. Dr. med. Dr. h.c. Erika von Mutius referierte PD Dr. med. Markus Ege, beide München, in Eltville über die Zusammenhänge, warum Kinder, die auf dem Bauernhof aufwachsen, weniger unter Allergien leiden.

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Kinder, die auf einem Bauernhof aufwachsen, weisen signifikant niedrigere Raten an allergischer Sensibilisierung auf als Kinder in anderer Umgebung.

Es ist mittlerweile in zahlreichen Studien gezeigt worden, dass Kinder, die auf einem Bauernhof aufwachsen, im Vergleich zu Nachbarskindern im gleichen Dorf, die nicht auf einem Bauernhof aufgewachsen sind, deutlich seltener an Asthma und Heuschnupfen erkranken und signifikant niedrigere Raten an allergischer Sensibilisierung aufweisen. Dieser „Bauerneffekt“ ist eines der reproduzierbarsten und konsistentesten epidemiologischen Signale in der Allergieforschung. Zwei Komponenten bestimmen ganz wesentlich diesen „Bauernhofeffekt“: der Aufenthalt im Kuhstall und der Konsum der unbehandelten Kuhmilch. Dabei ist allerdings der Zeitpunkt der Exposition entscheidend: Nur wenn diese Expositionen früh im Leben, prä- und/oder postnatal, erfolgen, ist ein Einfluss auf die Entstehung von allergischen Erkrankungen und Asthma zu erkennen.

Wenn die Mutter während der Schwangerschaft im Kuhstall arbeitet, ist bei ihrem Säugling nachfolgend die kumulative Prävalenz der atopischen Dermatitis im Alter von ein bis zwei Jahren etwa um ein Drittel reduziert. Zudem produzierten Zellen aus dem Nabelschnurblut von Neugeborenen, deren Mütter auf dem Bauernhof exponiert waren, signifikant mehr IFN-γ und TNF-α im Vergleich zu anderen Neugeborenen, deren Mütter nicht exponiert waren. Auch die Anzahl und suppressive Kapazität von regulatorischen T- Zellen war bei Neugeborenen von Müttern, die auf einem Bauernhof arbeiteten, erhöht. Zusätzlich zu den oben genannten immunologischen Parametern (Zytokine, regulatorische T Zellen) hing auch der Nachweis von spezifischen IgE im Nabelschnurblut von der Tätigkeit der Mutter während der Schwangerschaft ab.

 

Vermehrter Endotoxin-Gehalt schützt vor atopischer Sensibilisierung

 

Die Frage erhebt sich nun, wofür die mütterliche Exposition im Stall steht. In Tierställen sind zahlreiche Bakterien, Schimmelpilze, Pflanzenbestandteile und anderes nachweisbar. Eine Möglichkeit, die mikrobielle Exposition in der Umwelt zu erfassen, besteht darin, Substanzen, die Bestandteile von Bakterienzellwänden sind (z.B. Endotoxin), in Staubproben nachzuweisen. Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass vermehrter Endotoxin-Gehalt im Innenraum mit dem Schutz vor einer atopischen Sensibilisierung assoziiert ist. Einige Studien sind nicht in bäuerlicher, sondern in städtischer Umgebung durchgeführt worden, konnten aber diese Schutzeffekte bestätigen.

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Prof. Dr. med. Dr. h.c. Erika von Mutius
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PD Dr. med. Markus Ege

Die Frage stellt sich weiter, welches die relevanten, schutzbringenden Mikrobenarten sind. Um dieser Frage nachzugehen, wurde luftgetragener Staub aus dem Kinderzimmer bei Bauern- und bei Nicht-Bauernkindern in der GABRIEL-A-Studie gesammelt. Es wurden einerseits konventionelle Kulturmethoden angewandt, um Bakterien und Schimmelpilze anzuzüchten. Andererseits wurde in der PARSIFAL-Studie Matratzenstaub gesammelt und dessen DNA extrahiert. Die bakterielle DNA wurde mittels 16S-rRNA-Genamplifikation vermehrt und denaturiert. Diese denaturierte RNA wurde über eine Gel-Elektrophorese aufgetrennt, die einzelne Banden ergab. Diese Banden wurden in Dichtewerte umgewandelt und konnten somit einer statistischen Analyse unterzogen werden, bei der die Häufigkeit bestimmter Banden mit dem Auftreten von Asthma in Verbindung gebracht werden konnte. Es zeigte sich, dass die Anzahl der erhaltenen Banden bei Bauernkindern höher war und dass die zunehmende Anzahl der Banden mit einer Abnahme des Risikos, Asthma zu entwickeln, assoziiert war. Analog zur bakteriellen Exposition war auch die Schimmelpilzexpositio invers mit dem Auftreten von Asthma assoziiert. Diese Diversität der mikrobiellen Exposition bedeutet also Schutz vor Asthma bronchiale im Kindesalter.

 

Keinesfalls Rohmilch zur Allergieprävention empfehlen

 

Nun kann man sich fragen, was eine solche Diversität bedeutet. Einerseits ist sie klares Indiz dafür, dass es nicht die „Nadel im Heuhaufen“ ist, die diese Schutzeffekte bewirkt, sondern dass es zahlreiche mikrobielle Expositionen sind, die relevant sind. Hier taucht dann die Frage auf, ob eine „Je-mehr-desto-besser“-Situation gegeben ist oder ob innerhalb der Diversität ein bestimmter Cocktail von mikrobieller Exposition besonders wirksam ist. Explorative Analysen legen nahe, dass es ein bestimmter Cocktail von Mikroben ist, der hier eine Rolle spielt.

Neben der Stallexposition spielt auch der Konsum der nicht verarbeiteten Rohmilch eine Rolle beim Schutz vor Asthma und Allergien. Dieser Schutzeffekt verschwindet, wenn die Milch vor dem Konsum abgekocht wird. In der GABRIEL-Studie wurden Proben von der Milch gesammelt, die das Kind üblicherweise trinkt. Der Schutzeffekt der Rohmilch wird nicht über die darin enthaltenen Keime bewirkt. Hingegen konnte ein klarer umgekehrter Zusammenhang zwischen den Molkenproteinen und diesen Erkrankungen hergestellt werden. Diese Ergebnisse dürfen keinesfalls dahingehend interpretiert werden, dass Rohmilchkonsum eine Möglichkeit der Allergieprävention darstellt. Rohmilchproben enthalten pathogene Erreger wie Listerien, EHEC, Brucellen und andere, die ein erhebliches Erkrankungsrisiko, insbesondere bei Kindern, die nicht auf einem Bauernhof aufwachsen, mit sich ziehen. Die Wissenschaft muss erst genauer klären, welche Schutzfaktoren in dieser Milch existieren, um dann neue, mikrobiologisch sichere Produkte, die diese Schutzfaktoren wieder enthalten, auf den Markt zu bringen.