Spezial Wundheilung/Phlebologie: Wund-Forschung
Damit Wunden sich wieder verschließen können, müssen Zellen sich gemeinsam und koordiniert in eine Richtung bewegen. Bislang war der zentrale molekulare Mechanismus, mit dem Zellen diese
Bewegungen über größere Entfernungen koordinieren können, unklar – Wissenschaftler konnten ihn nun entschlüsseln.
Diese kollektive Zellmigration spielt nicht nur bei der Wundheilung eine wichtige Rolle, sondern ebenso bei der Embryonalentwicklung oder auch bei der Entwicklung von Krebs.
„Die kollektive Bewegung von Zellen und biologischen Systemen ist eines der wichtigsten natürlichen Phänomene und kommt auf verschiedenen Ebenen und Längenskalen der Natur vor. Wir haben nun den
molekularen Hauptakteur und den entsprechenden Mechanismus identifiziert, der die kollektive Migration von Epithelzellen steuert“, erklärt Prof. Dr. rer. nat. Joachim P. Spatz vom
Physikalisch-Chemischen Institut der Universität Heidelberg und dem Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme. In ihrer Untersuchung stellen die Wissenschaftler einen vollständigen molekularen
Mechanismus vor, der sich auf das Protein Merlin konzentriert. Die Ergebnisse stellen eine Verbindung von mechanischen Kräften innerhalb der Zelle zu kollektiven Zellbewegungen her und zeigen
auch, wie lokale Interaktion eine kollektive Dynamik auf der multizellulären Ebene bewirkt.
Den Vorgang der Zellmigration vergleicht der Wissenschaftler mit den Abläufen bei einem Marathon: „Auf der Ebene des gesamten Organismus versucht ein Individuum in einer Menge ganz bewusst, seine
Bewegungen an denen seiner Nachbarn auszurichten, wofür Wahrnehmung und Aktion miteinander in Einklang gebracht werden müssen.“ Innerhalb eines Zellkollektivs sind diese beiden Vorgänge durch
Signalübertragungswege miteinander verbunden. In einem Zellkollektiv gibt es eine Führungszelle, ähnlich dem Führenden in einem Marathonlauf. Sie ist mit den ihr folgenden Zellen mechanisch durch
Zell-Zell-Kontakte verbunden. Durch das Voranlaufen der Führungszelle wird mechanische Spannung auf die Verfolgerzellen ausgeübt, wie Spatz erläutert. Diese mechanische Spannung nimmt das Protein
Merlin wahr und initiiert die räumlich polarisierte Verfolgungsbewegung. So wird die mechanische Spannung im Verfolgerfeld von einer Zelle zur nächsten weitergegeben. Die Verfolgerzellen
reagieren darauf mit der Ausbildung von „Bein“-artigen Ausstülpungen in Richtung der Führungszelle, um sich nach vorne zu bewegen.
„Unklar war bisher, durch welche molekulare Verbindung diese beiden Ereignisse, Wahrnehmung und Aktion, verbunden sind“, sagt Spatz. „Dazu zeigt nun unsere Studie, wie Merlin als ein
mechanosensitives Protein zelluläre Kräfte in kollektive Zellbewegungen umwandelt, indem es als mechanisch-chemischer Signalumwandler agiert. Erstaunlich ist dabei, dass Merlin das einzige
Protein in dem verantwortlichen Signalnetzwerk ist, welches diese Eigenschaft in Zellkollektiven vermittelt – dass es also keine Ersatzmechanismen gibt. Fällt Merlin aus, verlieren Zellen die
Fähigkeit, sich kollektiv zu bewegen, und verursachen die damit verbundenen medizinisch relevanten, pathophysiologischen Merkmale von Organismen.“
So ist der Hauptakteur der Studie, Merlin, auch ein bekannter Tumorsuppressor, der für verschiedene Krebsarten verantwortlich ist. Zudem ist Merlin an der Steuerung des sogenannten
Hippo-Signalwegs beteiligt, einem für die Biologie wichtigen Signalweg, der die Vermehrung von Zellen und die Größe von Organen steuert und seit dem Auftreten von frühen Vielzellern evolutionär
konserviert wurde. „Es ist spannend zu sehen, dass es mit dem von Merlin vermittelten Signalmechanismus eine Verbindung zwischen diesen scheinbar ungleichen Aspekten zu geben scheint“, sagt der
Forscher.
An der Studie waren auch Wissenschaftler des Hamamatsu Tissue Imaging and Analysis (TIGA) Center am BioQuant-Zentrum der Ruperto Carola sowie des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen (NCT)
Heidelberg beteiligt. ve/idw
Originalveröffentlichung:
T. Das, K. Safferling, S. Rausch, N. Grabe, H. Boehm, J. Spatz: A molecular mechanotransduction pathway regulates collective migration of epithelial cells. Nature Cell Biology (published
online 23 February 2015), doi: 10.1038/ncb3115