Spezial Allergologie: Hyposensibilisierung

Zukunft der allergen­spezifischen Immuntherapie

Als Standard der spezifischen Immuntherapie (SIT) gelten derzeit die subkutane und die sublinguale Applikationsform. Prof. Dr. med. Ludger Klimek, Wiesbaden, berichtet von zwei weiteren, alternativen Strategien, welche den Patienten weniger aufwendige, kürzere und risikoärmere Behandlungen versprechen.

Foto: privat
Prof. Dr. med. Ludger Klimek

Allergien können durch Verabreichung des betreffenden Allergens spezifisch behandelt werden, wobei eine allergische Immunantwort in Richtung einer normalen Immunität verändert werden soll. Die spezifische Immuntherapie (SIT) ist die einzig kausale Therapie IgE-vermittelter allergischer Erkrankungen. Als Standard der SIT gelten zurzeit die subkutane und die sublinguale Applikationsform der Immuntherapie. Besonders die sublinguale Anwendungsform hat sich hierbei als mögliche Alternative etablieren können.
Zwei weitere alternative Strategien, welche den Patienten weniger aufwendige, kürzere und risikoärmere Behandlungen versprechen, wurden am UniversitätsSpital Zürich in den letzten Jahren entwickelt und in ersten klinischen Versuchen erprobt: die intralymphatische und die epikutane Immuntherapie.


Intralymphatische Immuntherapie (ILIT)


Die Wirksamkeit der SIT kann möglicherweise am effektivsten gesteigert werden, wenn die Modulation des allergisch reagierenden Immunsystems direkt im Lymphknoten stattfindet.
Ergebnisse in Mausmodellen und in ersten klinischen Studien haben gezeigt, dass eine Injektion von Allergenen direkt in subkutane Lymphknoten die Wirksamkeit der SIT deutlich verstärkt. Die Anzahl der Injektionen für eine Desensibilisierung könnte so möglicherweise auf drei und die Allergendosis um den Faktor 10 bis 100 reduziert werden. Injektionen in subkutane Lymphknoten können sonografisch gesteuert schnell und einfach ausgeführt werden. Die Schmerzbelastung ist vergleichbar mit der Injektion bei der konventionellen subkutanen SIT. Im Vergleich zu einer venösen Punktion wurden sie von Patienten sogar als weniger schmerzhaft empfunden.
Der Ort, in welchem dendritische Zellen, T-Helfer-Zellen und B-Zellen für eine erfolgreiche Immuntherapie interagieren müssen, sind die Lymphknoten. Die intralymphatischen Injektionen der Allergenextrakte erfolgen unter Ultraschallkontrolle in die inguinalen Lymphknoten.
In einer randomisierten Studie zeigte sich, dass drei niedrig dosierte intralymphatische Injektionen die nasale Toleranz gegenüber Gras-Pollen-Extrakt im gleichen Maß erhöhten wie eine konventionelle subkutane Immuntherapie über drei Jahre mit insgesamt 56 hoch dosierten Allergeninjektionen. Ähnliche Resultate zeigten sich bei den Symptomen der allergischen Rhinitis während der Pollensaison.
Die Injektionen erwiesen sich als einfach durchführbar und nahezu schmerzlos anwendbar. Um die Schmerzintensität zu überprüfen, wurden Studienteilnehmer gebeten, den Schmerz einer venösen Blutentnahme (i. v.) mit dem Schmerz der gleichzeitig erfolgten intralymphatischen Injektion (ILIT) auf einer visuell analogen Skala (VAS) zu vergleichen.
Eine analoge Studie von Hylander et al. kam zu ähnlichen Ergebnissen.
Witten et al. haben kürzlich eine klinische Studie veröffentlicht, welche denselben Allergenextrakt, dieselbe Dosis und dieselbe intralymphatische Applikationsart verwendete. Obwohl ihre doppelblinde, placebokontrollierte Studie mit 38 Patienten nach drei oder sechs intralymphatischen Injektionen von Gräserpollenextrakt ermutigende immunologische Veränderungen ergab, wurden keine Verbesserungen der klinischen Parameter (Symptomen- oder Medikations-Scores) beobachtet. Im Unterschied zu unserer Studie erfolgten die Injektionen in nur zweiwöchigem Abstand, was entgegen den allgemeinen Empfehlungen der Impfimmunologie zu kurz ist, um sukzessive Wellen von antigenspezifischen Immunantworten ohne Interferenz zu entwickeln. B-Gedächtniszellenbildung und Affinitätsreifung brauchen Phasen mit geringer Antigen-Präsenz in den Lymphfollikeln, damit die Konkurrenz um das Antigen zu einer positiven Auswahl von hochaffinen B-Zellen führen kann. Außerdem tendiert die pulsatile Antigen-Kinetik, wie sie mit monatlichen Injektionen erreicht wird, zu einer Th1-polarisierten Immunantwort, während andauernde Antigenexposition durch häufige Injektionen eher zu Th2-polarisierten Immunantworten führen. Die von Witten et al. beobachtete höhere Rate von allergischen Nebenreaktionen kann auch durch die kürzeren Injektionsintervalle erklärt werden, welche kein genügend schnelles Abklingen der durch das Alum-Adjuvans verursachten Entzündung im Lymphknoten erlaubt. Allerdings glauben diese Autoren, dass Senti et al. und Hylander et al. möglicherweise durch eine andere, von verschiedenen Institutionen empfohlene Auswahl der klinischen Endpunkte zu weniger positiven Ergebnissen gekommen wären.


Epikutane Immuntherapie (EPIT)


Die Idee zur epikutanen Anwendungsform basiert auf dem Wissen, dass die Epidermis eine sehr viel höhere Dichte von spezialisierten antigen-präsentierenden Langerhans-Zellen besitzt als die Subcutis. Das gezielte Beladen dieser Zellen mit Antigen sollte eine sehr effektive Immunmodulation ermöglichen. Nach Kontakt mit Allergenen nehmen Langerhans-Zellen diese über Phagozytose auf und wandern danach in die regionären Lymphknoten, wo eine Immunantwort ausgelöst wird.
Da die Epidermis nicht vaskularisiert ist, sollte zudem das Risiko einer systemischen Allergenverbreitung bei einer epikutanen Immuntherapie kleiner sein und daher zu weniger systemischen allergischen Nebenwirkungen führen. Obwohl eine solche epikutane oder transkutane Impfung schon lange als Alternative zur konventionellen Impfung bei Kinderkrankheiten oder anderen Infektionen angesehen wird, war eine doppelblinde, plazebo-kontrollierte Studie von 2009 bis dahin die einzige klinische Studie, die das Potenzial von Pflastern als Darreichungsform für die allergenspezifische Immuntherapie untersucht hat.


Placebo-kontrollierte, doppelblinde klinische Studien


37 Patienten mit einer Anamnese einer allergischen Rhinitis auf Gräserpollen, positivem Hauttest sowie positivem nasalen Provokationstest wurden in die Studie eingeschlossen und randomisiert. In Zusammenarbeit mit der Kantonsapotheke Zürich wurde ein Pflaster produziert, in dem eine gelöcherte Kammer eingebaut war. Darin wurde Gräser-Allergen in Vaseline oder im Falle des Plazebos nur Vaseline gemischt.
Die Pflaster wurden drei Monate in wöchentlichen Abständen auf den Oberarm des Patienten geklebt und jeweils nach 48 Stunden wieder entfernt. Nach sechs, zwölf und 18 Monaten wurden die Testungen wiederholt und in der ersten und zweiten Saison die Symptome erfasst. Zur Behandlung von Heuschnupfensymptomen bekamen alle Patienten die gleichen Medikamente zur Verfügung gestellt.
Beim nasalen Provokationstest zeigte sich nach dem ersten Jahr eine deutliche Verbesserung bei der Verum-, aber auch bei der Plazebo-Gruppe. In aufsteigenden Allergendosen nasal applizierte Provokationslösungen riefen demnach bei den meisten Patienten nach der Pflasterbehandlung weniger Symptome hervor. Im zweiten Jahr zeigte sich jedoch nur noch in der Verum-Gruppe eine anhaltende, statistisch signifikante Besserung im nasalen Provokationstest. Nach einer Saison haben die Patienten jeweils die Verbesserung auf einer Symptomskala im Vergleich zu vor der Therapie eingeschätzt. Bei dieser subjektiven Einschätzung haben sich die Symptome nur in der Verum-Gruppe signifikant verbessert. Die Inzidenz eines milden lokalen Ekzems an der Applikationsstelle war bei der Verum-Gruppe deutlich erhöht im Vergleich zur Plazebogruppe. Das Auftreten eines Ekzems deutet aber gleichzeitig auch auf eine Aktivierung von T-Zellen hin, möglicherweise bedingt durch die relativ lange Verweilzeit (48 Std.) des Pflasters.
Insgesamt konnten Daten von 110 Patienten vier bis fünf Monate nach Behandlung und von 93 Patienten im Follow-up auf Wirksamkeit analysiert werden, von letzteren je 22 in der Placebo- und der 10 HEP-Gruppe, sowie 25 in der 50 HEP- und 24 in der 100 HEP-Gruppe. Die Baseline-Charakteristiken, insbesondere die klinischen Parameter der Gruppen, unterschieden sich nur unbedeutend.Im ersten Jahr (2008) wurden die Symptome der AR während der Gräserpollensaison in der Gruppe mit der hohen Dosierung um über 30 %, im zweiten Jahr (2009) um 24 % gegenüber Plazebo reduziert. Die subjektive Verbesserung der AR-Symptomatik in der Folgesaison gegenüber der Behandlungssaison war statistisch signifikant und dosisabhängig. Höhere Dosen waren mit vermehrten unerwünschten Medikamentennebeneffekten (AEs) verbunden, in erster Linie Jucken, Rötung, Quaddeln oder Ekzem. Insgesamt erwies sich die EPIT in den beiden Studien als sicher, aber nicht ohne systemische Nebenwirkungen. Die höchste Dosis verzeichnete den besten klinischen Nutzen, aber auch die meisten, vor allem lokalen, Nebenwirkungen.


Schlussfolgerung


Eine erfolgreiche SIT ist am ehesten bei einer normal ausgeprägten Immunität zu erwarten, während in einer polyallergischen, atopischen Umgebung der dauerhafte Erfolg einer SIT weniger gewährleistet ist. Hohe Mengen Allergen begünstigen die Entwicklung der Treg und einer immunologischen Toleranz, während kleine Mengen die Entstehung einer allergischen Th2-Antwort begünstigen. Aus immunologischer Sicht ist deshalb ein „Cluster“- oder ein „Rush“-Immuntherapie-Schema, wie es u. a. bei Insektengiftallergien seit längerer Zeit erfolgreich angewendet wird, einer konventiellen Therapie deutlich vorzuziehen. Dass nur hohe Mengen von Antigen eine immunologische Toleranz erzeugen können, gilt für alle Formen der Applikation von Allergen. Entsprechend führen auch bei der oralen Verabreichung von Allergen, wie bei der sublingualen Immuntherapie (SLIT) nur hohe Allergendosen zum Erfolg. Wo die optimale Menge bei der SIT liegt, ist noch nicht völlig etabliert. Zu geringe Mengen haben wohl keine Nebenwirkungen, aber womöglich auch keine immunregulatorische, tolerisierende Wirkung. Bei der SIT in hohen Mengen über längere Zeit verabreichtes Allergen induziert ein normales, durch IgG4/IgA dominiertes Antikörperspektrum. Bei der Induktion der spezifischen Toleranz sind nur die von den T-Zellen erkannten und im Verbund mit MHC-II präsentierten immunogenen Peptide aktiv beteiligt. In Form ihrer T-Zellpeptide oder in chemisch oder gentechnologisch veränderter Form können Allergene in den notwendigen hohen Dosen ohne Gefahr von anaphylaktischen Reaktionen verabreicht werden. Bedingung dazu ist die Zerstörung der IgE-Bindungsstellen und damit der Ausschluss der IgE-produzierenden B-Zellen als APZ.
Unter Beachtung der grundlegenden Mechanismen der immunologischen Erkennung von Antigenen, der spezifischen Aktivierung von Treg und ihrer Wirkung über Zytokine auf B-Zellen und die Effektorzellen der allergischen Entzündung kann die SIT den jeweiligen Spezifitäten angepasst, und im frühen Stadium einer mono- oder oligospezifischen Allergie erfolgreich angewendet werden.
Obschon die ILIT mit der intralymphatischen Applikation eine hochpotente Route für die Immunisierung und Immuntherapie ist, sind noch weitere Studien notwendig, um Fragen der Optimierung (Dosis, Injektionsintervalle, Allergenformen, Adjuvantien etc.), der Indikationen (z. B. Asthma) oder der Zielgruppen (Kinder, Jugendliche) zu klären.
Um die intralymphatischen Injektionen zu vermeiden, könnten Allergenformulierungen (rekombinante Allergene, Allergenkonjugate etc.) entwickelt werden, welche geeignet sind, über subkutane oder transkutane Applikation zu den Lymphknoten zu gelangen, ohne auf diesem Weg unerwünschte Immunantworten und Nebenreaktionen auszulösen.
Die intralymphatische SIT (ILIT) verspricht aber insgesamt eine größere Effizienz und weniger Risiken bei gleicher Wirksamkeit als die aktuellen Standard-SIT-Formen. Es fehlen aber noch die großen, bestätigenden Studien. Aufgrund der vielversprechenden Resultate der klinischen Studien stellt die epikutane Immuntherapie (EPIT) eine mögliche zukünftige Therapie von Allergien dar. Die EPIT ist kaum invasiv und besteht im Wesentlichen aus dem Aufkleben von sechs Pflastern während sechs Wochen. Sie erscheint somit als patientenfreundliche spezifische Immuntherapie mit wenig Nebenwirkungen, geringem Aufwand und guter Wirksamkeit. Noch fehlen aber genügend Studien, um die allgemeine Verwendung in der Praxis empfehlen zu können.
Verbesserungspotenzial steckt insbesondere in der Formulierung der Allergene und der Applikationsform, um die Nebenwirkungen zu minimieren. Weitere klinische Studien sind erforderlich und geplant.