Pollenflug bei Neurodermitis
Was seit nunmehr 100 Jahren unter Wissenschaftlern diskutiert wurde, ist jetzt wissenschaftlich bewiesen: Der Gräserpollenflug hat einen Einfluss auf Neurodermitis. Betroffene zeigen ein
deutlich verschlechtertes Krankheitsbild.
Zu diesem Ergebnis kam ein Team aus Wissenschaftlern des Fraunhofer-Instituts für Toxikologie und Experimentelle Medizin ITEM und der Klinik für Dermatologie, Allergologie und Venerologie der
Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). Sie hatten freiwillige Probanden mit Neurodermitis in den Fraunhofer-Pollenprovokationsraum auf die sogenannte „Wiese im Labor“, gesetzt und beobachtet,
dass die Probanden mit deutlich sichtbaren Schüben der Neurodermitis reagierten.
Auslöser sind individuell sehr unterschiedlich
Neurodermitis ist eine quälend juckende Hauterkrankung, deren Häufigkeit in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen hat und auch weiterhin zunimmt. Ihre Behandlung ist nach wie vor besonders
schwierig, auch weil die Faktoren, die die Krankheit auslösen, individuell sehr unterschiedlich sind. Klar ist seit der Studie im Pollenprovokationsraum des Fraunhofer ITEM – in dem die
Gräserpollen wie auf einer natürlichen Sommerwiese fliegen –, dass die Belastung der Luft mit Pollen das Hautbild der Neurodermitis-Patienten innerhalb von Stunden signifikant verschlechtert. In
den Laboren der MHH wurde gezeigt, dass im Blut dieser Patienten Marker für allergische Entzündungen anstiegen. Ob die Pollenprovokation für die Entwicklung von neuartigen Wirkstoffen für
Immuntherapien von Neurodermitis-Patienten infrage kommt, wird das Team aus MHH- und Fraunhofer-Wissenschaftlern nun weiter untersuchen.
Die derzeit verfügbaren Therapien zur Behandlung der Neurodermitis zielen darauf ab, die Entzündungsreaktion mit breit wirksamen Medikamenten wie Kortikosteroiden zu unterdrücken. Ein gänzlich
neuer Weg könnte mit einer neuartigen Behandlungsform beschritten werden, nämlich mit der Verwendung von DNAzymen – synthetischen DNA-Molekülen mit Enzymaktivität. Das Forscherteam hatte sich mit
einem DNAzym als Therapeutikum bereits in einem anderen Projekt beschäftigt. Dabei ging es um die Prüfung der Sicherheit und Wirksamkeit des DNAzym-Wirkstoffs zur Behandlung des allergischen
Asthmas, den die Firma Sterna Biologicals zusammen mit Wissenschaftlern der Universität Marburg entwickelt hat. Der Wirkstoff mit der Bezeichnung „SB010“ basiert auf der Hemmung des
Transkriptionsfaktors GATA-3, der für Entzündungsreaktionen und damit einhergehende Symptome verantwortlich ist.
In dem gemeinsamen Projekt lieferten die Wissenschaftler des MHH-Teams um Prof. Dr. med. Thomas Werfel, Leiter der Forschungsabteilung „Immundermatologie und experimentelle Allergologie“,
wichtige Hinweise auf die Wirksamkeit des Präparates bei Allergien anhand von menschlichen Zellsystemen in Laborversuchen. Die Entwicklung dieses „First-in-Class“-Wirkstoffs begleitete auch das
Fraunhofer ITEM mit seiner Expertise, angefangen vom „Scientific Advice“, der wissenschaftlichen Beratung über die erforderlichen toxikologischen Tests, bis hin zu den klinischen Studien der
Phasen Ib und IIa.
Entzündungsreaktion mit Kortikosteroiden unterdrücken
Letztere – auch Proof-of-Concept-Studie genannt – wurde als multizentrische Studie an sieben deutschen Zentren unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Dr. med. Norbert Krug, Ärztlicher
Direktor am Fraunhofer ITEM, an Patienten mit allergischem Asthma durchgeführt.
Eine 28-tägige Behandlung mit dem Präparat führte im Vergleich zu Placebo nach spezifischer Allergenprovokation zu einer signifikanten Verbesserung der Lungenfunktion. Es erwies sich außerdem als
sicher und gut verträglich. Die Ergebnisse der Studie wurden im „New England Journal of Medicine“ im Mai 2015 publiziert. Ob das DNAzym auch für eine Therapie der Neurodermitis eingesetzt werden
kann, wird nun in der Klinik für Dermatologie, Allergologie und Venerologie der MHH unter der Studienleitung von Werfel untersucht. Bei geplanten Folgeuntersuchungen ist das Fraunhofer ITEM
wieder mit im Team. „Die hervorragenden Forschungsbedingungen und die kurzen Wege zwischen unseren benachbarten Institutionen, Fraunhofer ITEM und MHH, werden wir auch für zukünftige gemeinsame
Projekte in der Allergieforschung intensiv nutzen“, sagt
Werfel.
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Die Studienergebnisse wurden im „Journal of Allergy and Clinical Immunology“, dem weltweit führenden Fachjournal für Allergieforschung, publiziert und riefen zeitgleich
großes Interesse auf der Jahrestagung der „Europäischen Akademie für Allergologie und Klinische Immunologie“ hervor.