Allergologie im Kloster 2016
Zum 13. Mal war das Kloster Eberbach Ende Mai 2016 Treffpunkt von über 1.200 Allergologen und allergologisch arbeitenden Medizinern aller Fachrichtungen.
Aktuelle Forschungserkenntnisse, neue Leitlinien, innovative Therapieansätze und konkrete Hinweise zur Umsetzung im Praxisalltag wurden von namhaften
Referenten aus dem In- und Ausland vorgestellt.
Egal aus welcher Fachrichtung wir kommen, ob wir HNO-Ärzte, Kinderärzte, Internisten, Pneumologen oder Dermatologen sind, die Allergologie vereint uns alle“, brachte Prof. Dr. med. Ludger Klimek, Veranstalter, Kongresspräsident und Leiter des Zentrums für Rhinologie und Allergologie Wiesbaden das Anliegen der Veranstaltung auf den Punkt.
Precision Medicine
Trotz vorhandener Therapien sind Patienten mit chronischer allergischer Rhinitis und Rhinosinusitis häufig nicht beschwerdefrei. Dies könnte sich in Zukunft ändern, denn in den letzten Jahren
konnte man die Mechanismen, die hinter Erkrankungen der oberen Atemwege stecken, immer besser definieren. So weiß man mittlerweile, dass eine ganze Reihe von Mediatoren, Rezeptoren und
intrazellulären Signalwegen an den Entzündungsreaktionen der oberen und unteren Atemwege, man spricht auch von „United Airways“, beteiligt sind.
Genau dort setzen innovative Therapieoptionen wie Prostaglandin-Rezeptor-Agonisten und -Antagonisten, Anti-Interleukine, Biologika und neue Kombinationspräparate an, wie Prof. Joaquim Mullol,
Barcelona, in seinem Vortrag vorstellte. Neue Therapieansätze verspricht man sich u. a. auch von der Erforschung des nasalen Mikrobioms. Für die Patienten bedeutet diese Entwicklung in Richtung
„Precision Medicine“ die Möglichkeit einer individuelleren, personalisierten und letztendlich wirkungsvolleren Therapie.
Asthmabeschwerden trotz Therapie?
Asthmabeschwerden trotz regelmäßiger Medikamentengabe? Für viele Asthmapatienten gehört dies zum Alltag. Die Gründe dafür können vielfältig sein. Beispielsweise kann Asthma auch mit anderen
Erkrankungen der unteren Atemwege, z. B. COPD oder VCD, verwechselt werden. Die Symptome dieser Erkrankungen ähneln sich oft sehr, die Therapien können jedoch völlig anders aussehen und die
Asthmamedikamente wirken bei Nicht-Asthmatikern aus diesem Grund oft nicht.
Aber auch Fehler beim Umgang mit dem Inhalator können dazu führen, dass die Therapie nicht ausreichend wirkt, ein häufiger Grund für unkontrolliertes Asthma. Schließlich ist gerade beim Asthma
die Mitarbeit des Patienten essenziell wichtig. Eine gesunde Lebensführung, Triggervermeidung, gerade bei Tierhaarallergien, und der Verzicht auf das Rauchen sind die Voraussetzung für eine
wirkungsvolle Therapie.
Symptomkontrolle, aber auch Vermeidung von Nebenwirkungen!
Nach GINA, der „Global Initiative for Asthma“ ist nicht allein die Symptomkontrolle das Therapieziel bei der Asthmabehandlung, sondern es gilt auch, Nebenwirkungen zu vermeiden. Im Verlauf der
Therapie sollte, je nach Symptomlage, sowohl der Therapiewirkstoff als auch die Dosierung regelmäßig angepasst werden, der Steroideinsatz sollte möglichst gering sein. Auch bei der Asthmatherapie
zeigt sich also eine Entwicklung hin zu individuelleren, personalisierten Ansätzen.
Eine Therapieoption mit relativ milden Nebenwirkungen könnte in Zukunft die spezifische Immuntherapie sein, die aktuell für die Behandlung von Patienten mit schwerem unkontrolliertem Asthma noch
nicht zugelassen ist. Die aktuelle MITRA-2016-Studie an Hausstaubmilben-Allergikern konnte zeigen, dass auch Patienten mit unkontrolliertem Asthma von einer spezifischen Immuntherapie profitieren
können.
Auch Biologika werden laut Prof. Dr. med. Marek Lommatzsch, Rostock, bei der Therapie von unkontrolliertem Asthma eine zunehmend wichtigere Rolle spielen. Aktuell stehen hier Anti-IgE und
Anti-IL-5 zur Verfügung. Beim Anti-IgE könnte sich für die Zukunft ein erweitertes Anwendungsfeld ergeben. Nach neusten Erkenntnissen wirkt Anti-IgE, anders als bisher vermutet, nicht allein
anti-allergisch. D. h. auch Patienten mit nicht allergischem Asthma könnten von Anti-IgE profitieren.
Ambrosia – eine unterschätzte Gefahr!
Dass der Weg vom ersten Allergiekontakt bis zum Ausbruch der Allergie mehrere Jahre dauern kann, verstellt den Blick für eine Gefahr, die sich in Europa und auch in Deutschland aktuell bereits
anbahnt – massive Allergien, verursacht durch die Ambrosia.
In einer Mausmodell-Studie des Helmholtz-Zentrums München konnte gezeigt werden, dass nicht nur die Allergene der Ambrosia, sondern auch die nicht allergenen Substanzen der Ambrosiapollen
Entzündungsreaktionen auslösen können, was für die hohe Allergenität der Ambrosia verantwortlich zeichnen könnte. Auch konnte nachgewiesen werden, dass es oft erst nach etwa acht
Ambrosia-Expositionen zu deutlichen Veränderungen des Atemwegsepithels kommt.
Prof. Dr. med. Carsten Schmidt-Weber, ZAUM und Helmholtz-Zentrum München, geht davon aus, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis auch in unseren Breiten die Zahl der Ambrosia-Allergiker steigt,
insbesondere vor dem Hintergrund der Klimaerwärmung. Nötig wäre deshalb eine nationale Agenda, um die Ausbreitung der Ambrosia zu verhindern, auch wenn die Zahl der Ambrosia-Allergiker
hierzulande zum jetzigen Zeitpunkt noch gering ist.
LAR – Allergie-Symptome bei negativem Allergietest!
Normalerweise findet man bei Patienten mit Allergien einen positiven Pricktest oder IgE im Blutserum. Ist trotz typischer Allergie-Symptomatik kein IgE im Blut nachweisbar, könnte eine lokale
allergische Rhinitis (LAR) die Ursache sein. Bei Patienten mit LAR findet man zwar ebenfalls IgE, jedoch nicht im Blutserum, sondern ausschließlich im Nasensekret. Eine lokale allergische
Rhinitis ist auf alle Umweltallergene möglich. Wie Klimek ausführte, haben in Deutschland durchgeführte Studien ergeben, dass die LAR hierzulande im Gegensatz zu Erfahrungen im europäischen
Ausland kein ausgesprochen häufiges Phänomen ist, man geht von ca. 120.000 Erkrankten aus. Bei intermittierenden Allergien wie z. B. der von Pollenallergien betroffenen Patienten, kommt auf 200
Allergiepatienten nur ein Patient mit LAR. Deutlich höher ist die Anzahl bei den persistierenden Allergien wie z. B. der Hausstaubmilbenallergie, hier ist das Verhältnis 1 : 50.
Liegt beim Patienten eine klare saisonale Symptomatik vor, die die infrage kommenden Allergene deutlich eingrenzt, kann die Diagnose über eine nasale Provokationstestung erfolgen. Bestehen keine
konkreten Hinweise auf das zugrunde liegende Allergen, ist eine IgE-Diagnostik aus dem Nasensekret, das mithilfe eines Nasenschwämmchens gewonnen wird, möglich.
Allergische Rhinitis (AR) – auch das Riechvermögen leidet!
Das Riechen hat eine Warnfunktion, z. B. bei Brandgeruch, Giften oder verdorbenen Lebensmitteln, es spielt jedoch auch bei der sozialen Kommunikation eine wichtige Rolle, z. B. bei der
Mutter-Kind-Bindung. Wie Prof. Dr. med. Thomas Hummel, Dresden, betonte, ist das Riechen, und damit einhergehend auch das Schmecken, ein wichtiger Faktor bei der Lebensqualität, dessen Verlust
auch zu depressiven Verstimmungen führen kann.
Manche Patienten mit allergischer Rhinitis (AR) klagen über einen eingeschränkten Geruchssinn – man geht von ca. 20 bis 40 Prozent der von allergischer Rhinitis Betroffenen aus. Dabei ist bei
einer persistierenden AR eine Riechstörung häufiger und auch stärker ausgeprägt als bei einer intermittierenden. Zudem nimmt der Schweregrad der Riechstörung mit der Dauer der Erkrankung zu.
Dabei muss nicht eine allergiebedingte „verstopfte Nase“ die Ursache sein. Allein die Entzündungsvorgänge, die mit einer allergischen Rhinitis einhergehen, können zu einem vollständigen
Riechverlust führen.
In Bezug auf die Wirkung einzelner Therapien auf die Riechstörung gibt es deutliche Unterschiede. AR-Therapien mit Antihistaminika scheinen in Studien einen gewissen, jedoch nicht sehr
ausgeprägten Effekt auf das Riechvermögen gezeigt zu haben. Einen deutlich positiveren Effekt auf das Riechvermögen schienen Untersuchungen zur Wirkung topischer Steroide zu haben.
Allerdings kommt es dabei darauf an, dass der Wirkstoff des Nasensprays die Riechspalte auch erreicht – ein verlängerter Sprühaufsatz könnte helfen. Zur Wirkung der spezifischen Immuntherapie auf
Riechstörungen gibt es nur wenige Studien. Diese scheinen jedoch einen signifikant positiven Effekt der SIT auf das Riechvermögen zu zeigen.
Allergie und „Western Lifestyle“ ein Perpetuum Mobile?
Allergien nehmen zu, insbesondere in den angelsächsischen Ländern sowie in Skandinavien. Auch in Deutschland steigen die Allergikerzahlen, wobei das Problem in den südlichen Bundesländern
deutlich stärker ausgeprägt ist, als im Norden.
Teil des Problems ist der „Western Lifestyle“ und ein zu hygienisches Umfeld. So hat der moderne Mensch quasi keine „Chance“ mehr, mit Parasiten in Kontakt zu kommen, die in Schach zu halten die
eigentliche Aufgabe des Immunsystems ist.
Warme Wohnungen, saubere Nahrung und sauberes Trinkwasser, kein Kontakt mit Erde und Schmutz. All diese Faktoren haben dazu geführt, dass z. B. früher häufige Parasiten wie Würmer beim modernen
Menschen so gut wie nicht mehr vorkommen. Das Immunsystem wird von „realen Feinden“ nicht mehr gefordert und wendet sich harmlosen Allergenen zu – so die Theorie.
Stadt oder Land? Das Allergierisiko unterscheidet sich deutlich!
Stadtbewohner leben gefährlich, wenn es um das Risiko, an einer Allergie zu erkranken, geht. Schon der Umzug in ein Dorf verringert das Allergierisiko um 50 Prozent. Allergiepräventiv wirkt
hingegen der häufige Aufenthalt in einem Kuhstall von frühster Kindheit an – die dort herrschende Bakterienvielfalt scheint in Bezug auf Allergien protektiv zu wirken. Ebenso scheint der Kontakt
zu Erde ein wichtiger Faktor zu sein, denn es gibt eine Relation zwischen dem steigenden Verbrauch von Asphalt und der Zunahme von Allergien. Interessant ist eine Studie, die das
Allergievorkommen im Grenzgebiet von Finnland und Russland vergleicht. Während in Finnland 33 Prozent der Bevölkerung von Allergien betroffen sind, findet man in Russland kaum Allergien. Ein
Grund dafür könnte laut Studie sein, dass die Bakterienvielfalt in Trinkwasser und Hausstaub in Russland deutlich größer ist, als in Finnland.
Luftverschmutzung: Wie befördert sie Allergien und wie sauber ist unsere Luft wirklich?
Die Luftverschmutzung hat in den letzten Jahren abgenommen, zumindest in Bezug auf die relativ großen Partikel der Größe PM 10, d. h. Partikel, die 10 µm groß sind. In Deutschlands Großstädten
misst man heute deutlich weniger PM 10 als zu früheren Zeiten und auch der Schwefel- und Ozongehalt der Luft haben deutlich abgenommen.
Eine weniger starke Verbesserung der Luftqualität zeigt sich jedoch bei einem Blick auf die ultrafeinen Partikel, den Verbrennungsendprodukten von Automotoren. Diese Partikel werden aufgrund
technischer Innovationen immer kleiner und sie dringen deutlich tiefer ins Lungengewebe ein als die PM-10-Partikel. Gerade dieser Anteil von Feinstaubpartikeln der Größe PM 2,5 ist in den letzten
Jahren nicht so stark gesunken, ganz abgesehen von noch kleineren ultrafeinen Partikelgrößen wie PM 1, die nicht gemessen werden. Untersuchungen an Mäusen haben gezeigt, dass Feinstaub aus
ultrafeinen Partikeln die Allergieentstehung stimuliert, bei Allergenkontakt in Kombination mit ultrafeinem Feinstaub steigt daher das Allergierisiko.
Ein ähnliches Bild ergibt sich, wenn man sich den Verlauf der Ozonwerte genauer ansieht. Zwar sind die in Städten gemessenen Ozonwerte in den letzten Jahren gesunken, der Anteil der Stickoxide
sank jedoch deutlich weniger stark. Auch für Stickoxide konnte man in Studien nachweisen, dass sie die Entstehung von Allergien begünstigen, z. B. steigt das Risiko, an Asthma zu erkranken, bei
Menschen, die an stark befahrenen Straßen leben. Prof. Dr. med. Jeroen Buters, München, plädierte deshalb dafür, das Augenmerk bei der Beurteilung der Luftqualität auf neue, relevantere
Kennzahlen zu richten. Dabei sollten auch Heizungen stärker in den Fokus rücken, die 33 Prozent der Umweltverschmutzung verursachen und ebenso Baumaschinen.
Allergien verhindern – was weiß man zurzeit?
Noch sind die Mechanismen, die hinter der Entstehung von Allergien stecken, nicht vollständig bekannt. Aktuell scheinen jedoch folgende Faktoren eine allergiepräventive bzw. toleranzfördernde
Wirkung zu haben: