Einfluss der T-Zell-Population

Forschung Welche Rolle spielt VitamiD bei allergischen Erkrankungen? Annette Sperl und Prof. Dr. med. Ludger Klimek, Zentrum für Rhinologie und Allergologie Wiesbaden, geben im Vorfeld der Tagung „Allergologie im Kloster“ in Eltville (20. - 22. Mai 2017) eine Standortbestimmung. Lesen Sie hier Teil 2:

Prof. Dr. med.  Ludger Klimek, http://www.allergologie-im-kloster.de (Foto: privat)
Prof. Dr. med. Ludger Klimek, http://www.allergologie-im-kloster.de (Foto: privat)

Der Vitamin-D-Rezeptor (VDR) gehört zur Familie der Steroid-Rezeptoren. Er zählt zur Superfamilie der nukleären Rezeptoren und ist hochaffin für Calcitriol. Als Calcitriol-bindender Rezeptor ist er ein sog. Liganden-aktivierter Transkriptionsfaktor, der die Transkription von mehr als 900 Zielgenen aktiviert oder hemmt und so den Stoffwechsel beeinflusst. Studien belegen übereinstimmend, dass die VDR-Expression und -aktivität sowohl bei der T-Zell-Entwicklung, -differenzierung und bei der Auslösung von Effektorfunktionen eine wichtige Rolle spielen. T-Zellen sind bekanntlich von großer Bedeutung sowohl für die protektive Immunität als auch für die Entwicklung entzündlicher Erkrankungen. Die meisten der in dieser Hinsicht vorliegenden  Studien sind allerdings tierexperimenteller Art, wobei sich die Frage nach der Gültigkeit der Ergebnisse für den Menschen stellt, weil Tierstudien keine „Real life“-Situation widerspiegeln aufgrund der Tatsache, dass die Versuchstiere in der Regel in einer pathogenfreien Umgebung aufwachsen und natürlich auch die generellen immunologischen Unterschiede zwischen Tiermodellen und Humansituation beachtet werden müssen. Denn es gibt Hinweise, dass Mikroorganismen zur Verbesserung ihrer Überlebenschancen im Wirt dessen Immunantwort über VDR-Rezeptoren beeinflussen können. Zum Beispiel wurde in einer Studie beobachtet, dass Aspergillus fumigatus ein Toxin (Gliotoxin) sezerniert, welches in der Lage ist, die VDR-Expression von Makrophagen und von Epithelzellen der Atemwege zu senken. Dies erlaubt es Pathogenen bzw. Mikroorganismen, in Gewebe und Blut zu akkumulieren und die Immunabwehr weiter zu schwächen. Je mehr Pathogene inkorporiert sind, desto mehr zeigen sich Symptome eines chronisch-inflammatorischen Prozesses.

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„In Hinblick auf die Wirkung von Vitamin D müssen in Zukunft vor allem randomisierte klinische Studien anstelle von Beobachtungsstudien folgen.“

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Diesbezüglich gibt es immunmodulatorische Therapieansätze, bei denen die VDR-Expression verstärkt werden soll. In einer Untersuchung an Patienten mit angeborener Vitamin-D-resistenter Rachitis (Fanconi-Syndrom) wurde ein gewisser Schutz der Erkrankten gegenüber provozierter bronchialer Hyperreagibilität und Asthma beobachtet.


Allergie durch Vitamin D-Mangel oder -substitution?


Dieser Umstand lässt vermuten, dass intaktive Vitamin D-Rezeptoren (VDR) auch eine wichtige Rolle in der Pathophysiologie des Asthma spielen. Sowohl klinische, epidemiologische als auch tierexperimentelle Studien haben einen Zusammenhang zwischen Vitamin D und Allergie beobachtet. Während experimentelle und präklinische Studien Vitamin D eher eine protektive Rolle zuschreiben, zeigen klinische Daten weniger eindeutige Ergebnisse. Diese sind kontrovers dahingehend, dass sowohl einem Vitamin D-Mangel als auch einer Vitamin D-Supplementierung gleichsinnige Wirkung zugeschrieben wird. Im Folgenden werden einige aktuelle Studien vorgestellt, deren Ergebnisse eine konträre Wirkweise von Vitamin D auf Allergien widerspiegeln:
Eine deutsche Forschergruppe untersuchte vor dem Hintergrund der Zunahme von Nahrungsmittelallergien seit der in den 90er-Jahren eingeführten Vitamin D-Rachitisprophylaxe den Zusammenhang zwischen mütterlichen Vitamin D-Spiegeln und allergischen Erkrankungen in der frühen Kindheit (n=378). Die Ergebnisse zeigten ein erhöhtes Risiko für Nahrungsmittelallergien bei hohen Vitamin D-Spiegeln während Schwangerschaft und Geburt. Eine Vitamin D-Substitution in der Schwangerschaft wird von den Autoren auf Basis der Studienergebnisse nicht mehr empfohlen. Die Mehrheit der Mütter in dieser Studie wies nebenbei verminderte oder mangelhafte Vitamin D-Werte auf, ebenso hatte die Hälfte der Neugeborenen mangelhafte Vitamin D-Werte. Vergleichbare Werte wurden allerdings auch in anderen nicht-äquatorialen Gegenden gemessen. Es stellt sich daher auch die Frage nach der Gültigkeit der Referenzwerte für Vitamin D bzw. worin die Ursache der zu niedrigen Vitamin D-Spiegel liegen könnte. In einer ähnlich angelegten taiwanesischen Kinderstudie (n=186) schienen hingegen niedrige Vitamin D-Spiegel im Nabelschnurblut assoziiert zu sein mit einer Nahrungsmittelsensibilisierung (Kuhmilch), nicht aber mit Asthma, Ekzemen oder allergischer Rhinitis. Ebenso konnte eine aktuelle dänische Kinderstudie (n=257) keine Assoziation zwischen Nabelschnur-25(OH)D und atopischen Erkrankungen nachweisen.
In einer deutschen Studie (n=2815) mit zehnjährigen Kindern wurde der Zusammenhang zwischen Vitamin D-Spiegel (25(OH)D) und atopischen Erkrankungen untersucht. Ein Zusammenhang zwischen erhöhten 25(OH)D-Spiegeln und sinkendem Risiko für atopische Ergebnisse bei Kindern konnte nicht festgestellt werden, allerdings zeigte sich eine positive Assoziation zwischen 25(OH)D-Konzentrationen und Ekzemen und sIgE.
Eine weitere Kinderstudie (n=460) untersuchte den Einfluss von prä- und postnatalen Vitamin D-Spiegeln auf die Entwicklung von Nahrungsmittelsensibilisierungen. Dabei war ein persistierend niedriger Vitamin D-Wert bei der Geburt und in der frühen Kindheit assoziiert mit einem erhöhten Risiko für Nahrungsmittelsensibilisierungen – vor allem bei Kindern, die das C-Allel von rs2243250 trugen.
Eine norwegische Studie (n=1351) untersuchte den Zusammenhang von Vitamin D und der Inzidenz einer allergischen Rhinitis über einen Beobachtungszeitraum von elf Jahren. Im Ergebnis zeigte sich bei Männern mit erniedrigtem Vitamin D eine erhöhte Inzidenz an Neuerkrankungen, bei Frauen insbesondere vor der Menopause jedoch der gegenteilige Effekt. Ein Erklärungsansatz dieses Phänomens ist die Tatsache, daß Sexualhormone Einfluß nehmen auf die spezifische Immunantwort: Möglicherweise interagieren niedriges Vitamin D und Hormone zu einer gesteigerten Th2-Antwort bei Männern, bei Frauen hingegen zu gesteigerten Th1-Antworten (und ggf. reduzierten Th2-Antworten).


Problematische Aspekte bei der Beurteilung von Vitamin D-Studien


Matthias Wjst beschreibt die kontroverse Diskussion um Vitamin D und Allergie als eine unglückliche Entwicklung, die insbesondere infolge der Heterogenität bisheriger Studien entstanden sei. Folgende Aspekte müssten bei der Beurteilung von Studien bedacht werden:

  1. 25(OH)D3 reflektiert einen physiologischen Zustand, wohingegen die Vitamin D-Supplementierung eine unphysiologische Maßnahme ist.
  2. 25(OH)D3 ist ein Pro-Hormon, das als fast inaktive Speicherform von Vitamin D gilt. Der Spiegel hängt außerdem ab von Rasse, Geschlecht, Saison und sozioökonomischem Status. Das Pro-Hormon spielt offensichtlich nur bei extrem hohen oder niedrigen Spiegeln eine Rolle. Ein Mangel an Serum-25(OH)D3 wird also nicht eintreten, solange keine Rachitis-Symptome sichtbar sind.
  3. Die Bestimmung des Vitamin D-Metaboliten 25(OH)D3 ist zur Beurteilung der Vitamin D-Versorgung eine schlechte Alternative, weil es im Fettgewebe gespeichert wird und als nukleäres Hormon wirkt. Die Bestimmung von 25(OH)D3 erfolgt aus Machbarkeitsgründen, und nicht, weil es einen wissenschaftlichen Wert hat.
  4. 25(OH)D3 ist eher ein Lifestyle- als ein biologischer Marker. Ohne eine effektive Kontrolle von Lebensumständen, die die 25(OH)D3-Serumspiegel beeinflussen, wird es immer Verzerrungs- und Störeffekte geben. Ein kranker Mensch wird die Sonne meiden, wodurch die meisten Beobachtungsstudien in Bezug auf 25(OH)D3 ohne informativen Gehalt sind.
  5. Ein Vitamin D-Mangel kann nicht grundsätzlich mit Allergieprävalenz in Verbindung gebracht werden, nur weil es zu Zeiten der Rachitis-Epidemien der letzten Jahrhunderte keine Allergien gegeben hat. Es könnte zum Beispiel Allergie-fördernde Faktoren geben, die nur in Verbindung mit einem niedrigen Vitamin D-Spiegel wirksam sind, auch wenn dies bislang noch nicht postuliert wurde.

Zur Schlichtung der strittigen Fragen müssen in künftigen Studien aus Sicht von Matthias Wjst nachstehende Fragen beantwortet werden bzw. nachstehende Kriterien beachtet werden:

Ergebnisse von tierexperimentellen Studien haben limitierten Wert – wir brauchen humane Studien

Es ist wichtig, Supplementwirkungen bei Menschen zu unterscheiden in Hinblick auf

  • das individuelle Alter (Mutter in der Schwangerschaft, Neugeborenes, Kleinkind oder heranwachsendes Kind),
  • die vorangegangene Vitamin D-Exposition,
  • die individuelle genetische Variation von Vitamin D-Metabolismus und Signalübertragung

Wie bei jedem anderen Medikament hängen Vitamin D-Effekte ab von der

  • Dosierung und pharmazeutischen Rezeptur,
  • Applikationsart (oral, i.m., s.c., Pflaster),
  • zeitgleichen Allergenexposition.

Die Messung von Vitamin D-Metaboliten darf nicht isoliert betrachtet werden; die Erfassung zeitlicher und expositions-abhängiger Schwankungen ist notwendig. Fragebögen zur Erfassung der Nahrungszufuhr sind nicht ausreichend ohne Messung der Sonnenstrahlung. Wiederholte Messungen aktiver Vitamin D-Metaboliten sind zu empfehlen.

Funktionelle Betrachtungen der Reaktion auf die Behandlung wären interessant: DNA-Methylierung, Genexpression und proteomische Daten relevanter Zelluntergruppen.

Ergebnisse sollten klar differenziert werden. Atopie, klinisch manifeste Allergie, bronchiale Hyperreagibilität und Asthma sind nicht gleichzusetzen. Unterschiedliche Allergie-Stadien müssen unterschieden werden. Krankheits-initiierende Effekte sollten von Krankheits-fördernden Faktoren unterschieden werden.

Wiederholte interventionelle Studien müssen vorliegen, bevor eine klinische Empfehlung ausgesprochen werden kann.

Bisherige Studien zeigen keine richtungsweisende Tendenz bezüglich einer allergiefördernden oder –hemmenden Wirkung von Vitamin D. Erklärungsversuche der bislang beschriebenen paradoxen Wirkungen in den Forschungsergebnissen erklärt man sich durch epigenetische Programmierung in der Schwangerschaft, durch niedrige Vitamin D-Spiegel oder eine exzessive Nahrungsergänzung im Neugeborenen-Alter. Eine neue Studie wirft zudem die Frage auf, ob auch das Geschlecht Einfluss auf die Wirkung von Vitamin D hat.

Die ubiquitäre Vitamin D-Exposition aller Neugeborenen der westlichen Welt durch Supplementierung oder Beimischung in Babynahrung stellt die Forschung vor eine große Herausforderung, da hierdurch Effekte in epidemiologischen Studien schwer nachvollziehbar sein werden. In Hinblick auf die Wirkung von Vitamin D müssen in Zukunft vor allem randomisierte klinische Studien anstelle von Beobachtungsstudien folgen. |