Chronobiologie des Herzinfarktes Ein internationales Wissenschaftlerteam um Dr. Carlo Vittorio Cannistraci, Gruppenleiter für Biomedizinische Kybernetik am BIOTEChnologischen Zentrum der TU Dresden, hat eine Regel auf Grundlage der Chronobiologie des Herzinfarktes beim Menschen entdeckt.
Die Studie kommt zu dem Schluss, dass saisonale Rhythmen im Zusammenhang mit der Sonneneinstrahlung den zirkadianen Rhythmus des Herzinfarktes beeinflussen können.
Der „ST-Elevation akuter Myokardinfarkt (STEMI)“ – manchmal auch als massiver Herzinfarkt bezeichnet – tritt auf, wenn eine Arterie, die zum Herzmuskel führt, vollständig blockiert ist und
ein großer Teil des Herzens kein Blut aufnehmen kann. Infolgedessen beginnt das Herzmuskelgewebe in diesem Bereich schnell abzusterben. In den USA gab es zwischen 2006 und 2011 durchschnittlich
258.106 STEMI pro Jahr und STEMI stellt eine der häufigsten Todesursachen dar.
Die Tatsache, dass der Beginn von STEMI einen zirkadianen Rhythmus mit einem Höhepunkt während der Tagesstunden hat, ist in der wissenschaftlichen Literatur als allgemeine Regel des Herzinfarkts
gut beschrieben. Ebenso wichtig ist eine zweite Regel, die darauf hindeutet, dass ein saisonaler Rhythmus beim Auftreten von STEMI auch in den Wintermonaten mit einem markanten Höhepunkt der
Krankheitsfälle und einem ausgeprägten Tiefpunkt der Fälle in den Sommermonaten vorliegt. So können Umwelt- und Klimafaktoren eine wichtige Rolle bei der STEMI-Pathogenese spielen.
„Erstaunlicherweise haben wir festgestellt, dass die Verschiebung des STEMI-Vorkommens (genannt STEMI-Verschiebung) vom Tages- zum Nachtintervall direkt mit Messungen der Sonneneinstrahlung korreliert war.“
Es ist jedoch nicht bekannt, ob der zirkadiane Rhythmus durch den saisonalen Rhythmus insbesondere während der sommerlichen Reduktion des STEMI-Vorkommens verändert wird. Dr. Carlo Vittorio
Cannistraci hat zusammen mit Dr. Enrico Ammirati vom Niguarda Hospital Milano (Italien) eine Studie durchgeführt, die zum ersten Mal dieses Thema untersuchte und dabei Daten von mehreren Tausend
Patienten mit Herzinfarkt weltweit analysierte. Die Ergebnisse dieser multiethnischen und multinationalen epidemiologischen Studie, die Patienten aus beiden Hemisphären in unterschiedlichen
Breitengraden berücksichtigt, kommen zu dem Schluss, dass der zirkadiane Rhythmus des STEMI-Zeitbeginns im Laufe des Jahres variiert und eine Abhängigkeit von den saisonalen und sonnigen Rhythmen
zeigt. Insbesondere stellte die Studie fest, dass sich die Zeit des STEMI-Einsatzes im Sommer deutlich in das nächtliche Intervall verschiebt (18.00 bis 6.00 Uhr), und dieses von den Autoren als
„Sommerschicht“ bezeichnete Phänomen scheint mit der Sonnenscheindauer verbunden zu sein (anders als die Sonnenscheindauer, die nur die Anzahl der Stunden mit Licht an einem Tag ist), was ein Maß
ist, das umgekehrt mit der Bewölkung und direkt mit der Dauer der Sonneneinstrahlung zusammenhängt. Diese Entdeckung könnte eine dritte Säule in der Definition der allgemeinen Regeln werden, die
die Chronobiologie des Herzinfarkts charakterisieren.
Intuition half weiter
Der Erstautor Cannistraci sagt: „Nachdem wir die Anwesenheit dieser Sommerschicht entdeckt hatten, war ein Punkt in der Studie immer noch ,fragwürdig‘. Was sind die klimatischen Faktoren, die mit
der Sommerschicht verbunden sind? Dann hatte ich eine Intuition: Eine Kohorte aus Singapur könnte entscheidend sein. Denn in diesem Breitengrad können die Temperatur und die Sonnenscheindauer als
konstant über das Jahr betrachtet werden, daher sollte die Sommerverschiebung Zustimmung finden. Erstaunlicherweise haben wir festgestellt, dass die Verschiebung des STEMI-Vorkommens (genannt
STEMI-Verschiebung) vom Tages- zum Nachtintervall direkt mit Messungen der Sonneneinstrahlung korreliert war. Daher könnte auch die ,Sommerverschiebung‘ in der Region weit zum Äquator mit der
Höhe der Bestrahlungsstärke in diesem Breitengrad in Verbindung gebracht werden. Um einen schlüssigen Beweis zu haben, haben wir die Korrelation der entdeckten STEMI-Verschiebung über das Jahr in
der finnischen Kohorte mit dem Serumspiegel von Vitamin D (das ein natürlicher Marker für die Sonneneinstrahlung ist) in diesem Breitengrad überprüft. Diese letzte Analyse schlug vor, dass, wenn
das Vitamin D im Serum während des Sommers aufgrund der höheren Sonneneinstrahlung steigt, dann eine konstante Anzahl von Herzinfarkten im nächtlichen Intervall wandert, was die Tatsache
bestätigt, dass die Sommerverschiebung mit der Höhe der Sonneneinstrahlung im Laufe des Jahres verbunden ist. Weitere Studien sollten nun die Gründe und molekularen Mechanismen dieser neuen
Regel, die die Chronobiologie des Herzinfarkts regelt, untersuchen.“
Die Forschungsförderung erfolgte durch das Independent Group Leader Starting Grant der Technischen Universität Dresden, die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und den
Open-Access-Publikationsfonds der Technischen Universität Dresden.
Cannistraci ist ein theoretischer Ingenieur. Seit Februar 2014 ist er Gruppenleiter der Forschungsgruppe für Biomedizinische Kybernetik am BIOTEC der Technischen Universität Dresden und seit 2016
TUD Young Investigator (Fakultät Physik). Seine Forschungsinteressen umfassen Themen an der Schnittstelle zwischen der Physik komplexer Systeme, komplexer Netzwerke und der Theorie des
maschinellen Lernens, mit besonderem Interesse für Anwendungen in der Biomedizin und den Neurowissenschaften.
Kurzporträt
Dr. Carlo Vittorio Cannistraci
ist ein theoretischer Ingenieur. Seit Februar 2014 ist er Gruppenleiter der Forschungsgruppe für Biomedizinische Kybernetik am BIOTEC der Technischen Universität Dresden und seit 2016 TUD Young
Investigator (Fakultät Physik). Seine Forschungsinteressen umfassen Themen an der Schnittstelle zwischen der Physik komplexer Systeme, komplexer Netzwerke und der Theorie des maschinellen
Lernens, mit besonderem Interesse für Anwendungen in der Biomedizin und den Neurowissenschaften.
Info Interdisziplinäres Forschungszentrum
Grundlegende lebenswissenschaftliche Entwicklungen werden häufig durch technologische Neuerungen angetrieben. Das Biotechnologische Zentrum (BIOTEC) wurde im Jahr 2000 gegründet und ist jetzt
eines der drei Institute der zentralen wissenschaftlichen Einrichtung „Center for Molecular and Cellular Bioengineering“ (CMCB) der TU Dresden. Es spielt eine wesentliche Rolle in der
Forschungsprofillinie Gesundheitswissenschaften, Biomedizin und Bioengineering der TU Dresden. Das BIOTEC ist ein interdisziplinäres Forschungszentrum,
welches innovative Technologien entwickelt, um den Fortschritt in den modernen Lebenswissenschaften in den Bereichen molekularer Zell- und Entwicklungsbiologie, physikalischer Biologie und der
Bioinformatik voranzutreiben. Die Ausgewogenheit und Synergien zwischen Technologieentwicklung und Grundlagenforschung ist die Basis für den anhaltenden Erfolg von Grundlagen-, Anwendungs- und
translationaler Forschung am BIOTEC, am CMCB, am erweiterten TU Dresden Campus und mit den DRESDEN-concept Partnern. Das BIOTEC bildet zudem die Entwicklungsplattform für die
Exzellenzantragsskizze „Physik des Lebens“ der TU Dresden.
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Telefon: +49 (0) 351 / 458 82065