Fallstricke für angestellte Ärzte Das Bundesarbeitsgericht hat Ende März 2017 zum nachvertraglichen Wettbewerbsverbot entschieden – dies gilt auch für angestellte Ärzte! Welche Fallstricke hier lauern können, erläutert Dr. jur. Gwendolyn Gemke, München.
Die Berufsordnungen der einzelnen Bundesländer für Ärzte verstehen den ärztlichen Beruf weiterhin als einen seiner Natur nach freien Beruf.
Doch hat sich seit der Emanzipierung der freien Berufe von staatlicher Kontrolle im 19. Jahrhundert viel geändert. Historisch war die Selbstständigkeit des Berufsträgers Kern der
Freiberuflichkeit. Mit zunehmender Spezialisierung in den ärztlichen Fachdisziplinen auf der einen Seite und dem Wunsch nach einer ausgewogenen Work-Life-Balance auf der anderen Seite hat in den
vergangenen Jahren die Zahl der Einzelpraxen sukzessive abgenommen. Das Angebot ärztlicher Leistungen konzentriert sich auf größere Einheiten wie örtliche oder überörtliche Gemeinschaftspraxis,
aber auch die Zahl der angestellten Ärzte nimmt zu. Ein hoher Anteil von Medizinern strebt heute nicht mehr nach der Niederlassung in einer eigenen Praxis, sondern sieht die eigene berufliche
Zukunft in einem Angestelltenverhältnis.
Überholt ist auch das historische Verständnis vom Angehörigen des freien Berufs, der sich nicht als Unternehmer verstand. Sie waren nicht primär am Markt, an Risiko und Gewinn, überhaupt nicht an
der Wirtschaft orientiert. Auch dieses Blatt hat sich gewendet: Politisch gewünscht und gefördert hat der Wettbewerb in der Medizin zugenommen und Ärzte sind im Werben um Patienten gezwungen,
sich dieser neuen Situation zu stellen.
Neubewertung des Verhältnisses zwischen angestellten Ärzten und ihren Arbeitgebern
Beide Entwicklungen fordern eine Neubewertung des Verhältnisses zwischen angestellten Ärzten und ihren Arbeitgebern und müssen bei der Entscheidung über die Anstellung von Ärzten und vor allem
bei der Ausgestaltung der Arbeitsverträge berücksichtigt werden. Das Arbeitsrecht spielte in den vergangen Jahrzehnten in Arztpraxen eine untergeordnete Rolle, seine Bedeutung nimmt heute zu.
Streitigkeiten zu Vertragsdetails prägen die anwaltliche Praxis
Neben den spannenden Fragen nach der Möglichkeit zur Befristung von Arbeitsverträgen und der Entwicklung erfolgsorientierter Vergütungsmodelle prägen Streitigkeiten im Zusammenhang mit der
Kündigung von Arbeitsverhältnissen die anwaltliche Praxis. Dabei ist zu konstatieren, dass Arztpraxen zunehmen aufgrund ihrer erhöhten Beschäftigungszahl nicht mehr in den Genuss der sogenannten
Kleinbetriebsregelungen kommen, sondern dem Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz unterliegen. Kündigungen sind damit nicht mehr ohne weitere möglich, sondern müssen begründet werden –
sei es mit betrieblichen, sei es mit personenbedingten Gründen, die in der Person des Arbeitnehmers wurzeln.
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Dr. jur Gwendolyn Gemke: „Voraussetzung für die Wirksamkeit eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots ist, dass der Arbeitgeber sich verpflichtet, an den Arbeitnehmer eine sogenannte Karenzentschädigung zu zahlen.“
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Ebenso brisant ist die Fragestellung, inwieweit mit einem ärztlichen Arbeitnehmer bei Abschluss eines Arbeitsvertrags ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot vereinbart werden kann. Die
Berufsordnungen für Ärztinnen und Ärzte enthalten noch heute unter § 29 Abs. 2 Satz 2 BO eine Regelung, wonach es berufsunwürdig ist, wenn sich Ärztinnen und Ärzte innerhalb eines Zeitraums von
einem Jahr ohne Zustimmung der Praxisinhaberin oder des Praxisinhabers im Einzugsbereich derjenigen Praxis niederlassen, in welcher sie in der Aus- oder
Weiterbildung mindestens drei Monate tätig waren. Dies entspricht der im ärztlichen Stand weiter verbreiteten Auffassung, es sei anstößig, sich nach Beendigung eines Angestelltenverhältnisses im
Einzugsbereich der Praxis des Arbeitgebers niederzulassen und von dem während der Angestelltentätigkeit aufgebauten Ruf und den sich hier erarbeiteten
Patientenbeziehungen zu profitieren. Dementsprechend finden sich in Arbeitsverträgen für Ärzte häufig sogenannte Wettbewerbsverbote oder Konkurrenzschutzvereinbarungen, in denen sich der
angestellte Arzt verpflichtet, nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses für einen definierten Zeitraum nicht im Einzugsbereich der Praxis tätig zu werden.
Nachvertragliches Wettbewerbsverbot eventuell nichtig
Doch hält dies einer arbeitsrechtlichen Überprüfung stand? Nein, so die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Mit Urteil vom 22. März 2017 hat das BAG erneut festgestellt: Ein
nachvertragliches Wettbewerbsverbot ist nichtig, wenn die Vereinbarung entgegen § 110 Gewerbeordnung i. V. m. § 74 Abs. 2 HGB keinen Anspruch des Arbeitnehmers auf eine Karenzentschädigung
beinhaltet. Weder der Arbeitgeber, so das BAG, noch der Arbeitnehmer können aus einer solchen Vereinbarung Rechte herleiten. Selbst eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltene
Salvatorische Klausel führt nicht, auch nicht einseitig, zugunsten des Arbeitnehmers, zur Wirksamkeit des Wettbewerbsverbots (BAG, Urteil vom 22.03.2017, 10 AZR 448/15).
Was heißt dies für die ärztliche Praxis?
Natürlich kann der Inhaber einer Praxis ein gerechtfertigtes Interesse haben, seinen Patientenstamm zu schützen und mit einem ärztlichen Mitarbeiter ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot zu
vereinbaren. Dies geht jedoch nur unter Beachtung der gesetzlichen Vorgaben, die darauf ausgerichtet sind, den Mitarbeiter vor den damit verbundenen nachteiligen Folgen zu schützen bzw. diese zu
kompensieren.
Voraussetzung für die Wirksamkeit eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots ist im Anstellungsverhältnis, dass der Arbeitgeber sich verpflichtet, an den Arbeitnehmer eine sogenannte
Karenzentschädigung zu zahlen. Bereits im Arbeitsvertrag muss der Arbeitgeber sich verpflichten, dem Arbeitnehmer für die Dauer des Wettbewerbsverbotes einen Teil seines Gehalts als Entschädigung
weiterzuzahlen, und zwar eine Entschädigung, die für die Dauer des Verbotes gezahlt wird und die für jedes Jahr des Verbotes mindestens die Hälfte der von dem Arbeitnehmer zuletzt bezogenen
vertragsgemäßen Leistungen erreicht. Der Wunsch, nachvertraglichen Wettbewerb zu verhindern, ist für den Arbeitgeber demnach teuer. Er wird sich im Rahmen der Vertragsverhandlungen fragen müssen,
ob ihm die Verhinderung von Konkurrenz durch einen ausgeschiedenen angestellten Arzt dies wert ist.
Weitere Hürden
Doch damit nicht genug, enthält das Gesetz noch weitere Hürden. So muss das Wettbewerbsverbot schriftlich vereinbart sein. Es ist nur insoweit verbindlich, als es zum Schutz eines berechtigten,
geschäftlichen Interesses des Arbeitgebers dient, was die Diskussion um den Einzugsbereich der Praxis eröffnet. Wird das Wettbewerbsverbot räumlich zu weit gefasst, ist es unwirksam. Auch darf
das Wettbewerbsverbot unter Berücksichtigung der gewährten Entschädigung nach Ort, Zeit oder Gegenstand keine unwillige Erschwerung des Fortkommens des Gehilfen enthalten. Das Verbot kann nicht
auf einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren von der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erstreckt werden.
Immerhin gibt es eine gesetzliche Regelung, wonach der Angestellte sich auf seine Entschädigung anrechnen lassen muss, was er während des Zeitraums, für den er die Entschädigung bezieht, durch
anderweitige Verwertung seiner Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt. Dies, soweit die Entschädigung unter Hinzurechnung dieses Betrages den Betrag, der zuletzt von ihm
bezogenen vertragsmäßigen Leistungen um mehr als 1/10 übersteigt. Im Übrigen gelten das Wettbewerbsverbot und die Verpflichtung zur Zahlung einer Karenzentschädigung auch dann, wenn der
angestellte Arzt während oder nach Abschluss des Erziehungsurlaubs aus der Praxis ausscheidet. Auch kann der Arbeitgeber vor der Beendigung des Dienstverhältnisses durch schriftliche Erklärung
auf das Wettbewerbsverbot mit der Wirkung verzichten, dass er mit dem Ablauf eines Jahres seit der Erklärung von der Verpflichtung zur Zahlung der Entschädigung frei wird.
Damit sieht das Gesetz eine einseitige Möglichkeit für den Arbeitgeber vor, sich von der Zusage einer Karenzschädigung zu lösen, etwa wenn sich im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses zeigt, dass
Wettbewerb durch den betroffenen Arbeitnehmer nicht zu fürchten ist. Dies allerdings mit einer Vorlaufzeit von einem Jahr. Empfiehlt es sich also, mit angestellten Ärzten ein nachvertragliches
Wettbewerbsverbot zu vereinbaren?
Entscheidung nur im Einzelfall
Dies kann nur von Einzelfall zu Einzelfall entschieden werden, im Regelfall wird der Arbeitgeber hiervon im Hinblick auf damit verbundene finanzielle Belastung eher Abstand nehmen. Wird ein
Wettbewerbsverbot vereinbart, sollte dies jedoch richtig passieren, sodass es sich empfiehlt, hier anwaltlichen Rat einzuholen.