Versorgungsstudie zur Neurodermitis Das Leitbild der ‚lernenden Kranken- und Gesundheitsversorgung‘ ist das Ziel der Versorgungsforschung, denn Nutzen und Wirksamkeit jeder Therapie müssen sich im Praxisalltag bewähren.
Mit „AtopicHealth2“ ist gerade eine weitere Studie zur Versorgung der Neurodermitis in Deutschland erfolgreich gestartet. Mario Gehoff vom Institut für Versorgungsforschung in der Dermatologie
(IVDP) am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf berichtet für DERMA forum.
Trockene, schuppige und gerötete Haut, begleitet von starkem Juckreiz – das atopische Ekzem, geläufig auch als Neurodermitis oder atopische Dermatitis (AD) bezeichnet, ist eine der
häufigsten chronischen, nicht ansteckenden Hauterkrankungen und wurde schon vor 2000 Jahren beschrieben. Medizinhistoriker halten fest: Bereits der römische Biograph Sueton beschrieb die
typischen Krankheitssymptome an Kaiser Augustus. Heutzutage gilt Neurodermitis als nicht heil-, aber behandelbar. Bis zu 20 % der Kinder und bis zu 3 % der Erwachsenen sind von der Krankheit
betroffen, der Deutsche Neurodermitis Bund geht von hierzulande circa drei Millionen Kranken aus. Die Krankheit verläuft schubweise und tritt häufig schon in den ersten Lebensjahren auf: bei 60 %
der Patienten im ersten Lebensjahr, bei bis zu 85 % vor dem fünften Lebensjahr. Analysen zeigen, dass in etwa ein Viertel (23 %) der Säuglinge und Kleinkinder und nur noch 2 bis 4 % der
Erwachsenen Gesundheitsleistungen aufgrund eines atopischen Ekzems in Anspruch nehmen. Damit ist Neurodermitis bei Kindern die häufigste chronische Erkrankung überhaupt, mind. 30 % von ihnen
entwickeln auch als Erwachsene zumindest zeitweilig Ekzeme.
Psychische Belastungen, Angst und Hilfslosigkeit prägen junge Menschen häufig ein Leben lang
Auch aufgrund des sichtbaren Hautausschlages und des oftmals quälenden Juckreizes sind Schlafprobleme und soziale Stigmatisierung die Folgen. Psychische Belastungen, Angst und Hilfslosigkeit
prägen damit gerade junge Menschen häufig ein Leben lang. Zudem wird Neurodermitis oft mit Erkrankungen des atopischen Formenkreises (etwa Heuschnupfen oder Asthma bronchiale) assoziiert, die
Komorbidität spielt bei dieser Dermatose eine bedeutende Rolle. Zusammengenommen führen diese Faktoren dazu, dass das Leiden unter Neurodermitis vom Großteil der Bevölkerung als ähnlich schwer
wahrgenommen wird wie beispielsweise Angina pectoris oder rheumatoide Arthritis. Der Behandlung der Begleiterkrankungen bei Kindern und Jugendlichen mit Neurodermitis kommt somit eine besondere
Rolle zu. Einer Studie zur Folge, die sich mit den unterschiedlichen Komorbiditätsmustern von atopischer Dermatitis und Psoriasis beschäftigt, zählt zu Begleiterkrankungen bei AD vor allem
Allergische Rhinitis, chronische Bronchitis und Impetigo. Dabei waren bei Kindern mit Psoriasis (i) einige Prävalenzraten erhöht im Vergleich zu allen Kindern ohne Psoriasis (ii) und Kindern mit
atopischer Dermatitis (iii). Im Einzelnen handelt es sich dabei um Fettleibigkeit (i: 7,08 %/ii: 3,61 %/ iii: 4,11 %), Hyperlipidämie (i: 1,14 % /ii: 0,64 %/iii: 0,71 %), arterielle Hypertonie
(i: 0,91 %/ii: 0,44 %/iii: 0,40 %), Diabetes (i: 0,61 %/ii: 0,31 %/iii: 0,34 %), Iridozyklitis (i: 0,38 %/ii: 0,04 %/iii: 0,06 %), Arthritis (i: 0,53 %/ii: 0,32 %/iii: 0,33 %) und Depression (i:
1,29 %/ii: 0,77 %/iii: 0,83 %).
Optimierungspotenziale aufzeigen
Die Belastung durch die Grund- und Nebenerkrankungen sowie deren soziale Begleitumstände beeinträchtigen die Lebensqualität der Betroffenen deutlich. Entsprechend wichtig ist es zu verstehen, wie
sich die Situation der Versorgung von Betroffenen mit atopischem Ekzem derzeit darstellt, um gegebenenfalls Optimierungspotenziale aufzuzeigen. Denn wesentliche Fragen zur Behandlung gerade von
Patienten mit schwerer Neurodermitis sind noch immer unbeantwortet, so zum Beispiel Hintergründe zu Therapieentscheidungen, Therapiezielen und Patientenzufriedenheit. Wie immer im
Gesundheitswesen spielt auch die Kostenseite eine nicht unerhebliche Rolle. Die potenziellen Ausgaben für die Behandlung der Neurodermitis per se sind beträchtlich, denkt man alleine an die
mögliche Dauer der Krankheit über ein ganzes Menschenleben. Erwähnenswert sind hier die Daten einer Primärstudie, die für Deutschland als mittlere Kosten pro Patient und Jahr 1.449 Euro
sowie zusätzlich 1.128 Euro als private und 1.843 Euro als indirekte Kosten ermittelte
.
Mario Gehoff: "Entsprechend wichtig ist es zu verstehen, wie sich die Situation der Versorgung von Betroffenen mit atopischem Ekzem derzeit darstellt, um gegebenenfalls Optimierungspotenziale aufzuzeigen."
Dabei muss berücksichtigt werden, dass die nicht unbeträchtliche zusätzliche private Kostenbelastung nur schwer zu bestimmen und sicherlich noch um einiges höher einzuschätzen ist. Wie teuer eine
Erkrankung ist, entscheidet mitunter auch darüber, welche Optionen in Behandlung, Prävention, Rehabilitation oder Pflege geschaffen werden.
So haben sich verschiedene Projekte der dermatologischen Versorgungsforschung in der jüngeren Vergangenheit mit dem atopischen Ekzem befasst.
1.500 Patienten aus über 100 dermatologischen Praxen und Kliniken
Mit „AtopicHealth2“ befindet sich derzeit der zweite Ableger aus der gleichnamigen Studienreihe in der Phase der Datenerhebung. Der Fokus liegt dabei auf der Versorgungsqualität der Neurodermitis
unter Bezugnahme auf die Leitlinie, aber auch auf der sozioökonomischen Bedeutung der Erkrankung. Eingeschlossen werden insgesamt 1.500 Patienten aus über 100 dermatologischen Praxen
und Kliniken. Die Datenerhebung läuft noch bis Herbst 2018, insofern gibt es hier noch keine validen Ergebnisse.
Ein Blick auf den Vorgänger „AtopicHealth1“ zeigt aber, wie wichtig Versorgungsstudien sind: Mit der Studie aus 2010, einer nicht-interventionellen Fragebogenerhebung im Querschnitt, wurde die
hohe sozioökonomische Bedeutung der Erkrankung nachgewiesen und Versorgungslücken aufgezeigt. Zur Teilnahme bereit erklärt hatten sich 174 hautärztliche Zentren aus ganz Deutschland, wovon
91 mindestens einen Patienten einschlossen.
Die damaligen Ergebnisse geben erstmalig einen Überblick über typische Merkmale der ambulanten Patienten mit Neurodermitis: Unter den 1.678 teilnehmenden Patienten waren 60,5 % weiblich. Das
mittlere Alter lag bei 38,4 Jahren. Bei 49,4 % der Patienten lag laut Arztangabe eine positive Familienanamnese für atopische Erkrankungen vor. Im Mittel waren 10,4 % der Körperoberfläche
betroffen. Gemessen am SCORAD, einem Hautscore zur Ermittlung des Schweregrades einer AD (Skalierung 0 bis 103/keine bis sehr schwer), zeigten 32 % der Patienten aktuell eine schwere oder sehr
schwere Form der Neurodermitis (32 % SCORAD > 50). Nach dem Investigators’ Global Assessment (IGA; Skalierung 0 bis 5/keine bis sehr schwer), einem im Vergleich zum SCORAD gröberen, aber auch
einfacher zu handhabenden Messinstrument, waren 36,3 % der Patienten schwer oder sehr schwer (7,8 %) betroffen. Häufigste Begleiterkrankungen waren allergische Rhinokonjunktivitis (54,7 %) und
Asthma bronchiale (30,1 %). Die in den vorausgehenden fünf Jahren verwendeten Therapien waren nach Patientenangaben vor allem Basispflege (90,4 %) und topische Kortikosteroide (85,5 %). Etwa 76 %
der Patienten bezeichneten sich als durch die Behandlung gar nicht bis mittelmäßig belastet. Der Gesamtwert des Dermatology Life Quality Index (DLQI; Skalierung 0 bis 30/keine bis maximale
Einschränkung der Lebensqualität) lag bei 8,5 (Mittelwert), allerdings hatten 32,1 % einen DLQI von über 10 und damit bereits starke bis stärkste Einbußen an Lebensqualität. Im Mittel bewerteten
die Befragten ihre Neurodermitis-Versorgung über die letzten Jahre mit 2,6 auf einer Skala von 1 (sehr gut) bis 5 (ungenügend).
Insgesamt zeigte „AtopicHealth1“ umfassend, wie groß der Leidensdruck für die AD-Patienten ist. Dass fast drei Viertel der Patienten (73,1 %) die Ursache für eine Verschlimmerung der Symptome in
psychischen Faktoren oder Stress sieht, gab klar die Richtung einer optimierten Versorgung vor, lassen sich doch psychosoziale Einflussfaktoren nicht alleine durch medizinische Maßnahmen
beeinflussen. Während die tägliche Basisbehandlung der Haut noch von einem Großteil der Betroffenen durchgeführt wurde, hatten nur 12,7 % der Patienten jemals an Schulungsmaßnahmen teilgenommen.
Eine Analyse der Hindernisse, auf Arzt- wie auf Patientenseite, sollte darauf hinwirken, das Potenzial einer Verbesserung der Versorgung auszuschöpfen und auf diesem Weg, gepaart mit einer
bundesweit flächendeckenden Behandlung gemäß der gelten Leitlinien, den Betroffenen ein Leben mit einem möglichst geringen Leidensdruck zu ermöglichen. Die Erkenntnisse aus „AtopicHealth2“ werden
die Versorgung in dieser Beziehung wieder einen Schritt voranbringen.
Kontakt
Mario Gehoff
Institut für Versorgungsforschung in der Dermatologie (IVDP) am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
m.gehoff@uke.de