Die Entwicklungsgeschichte von Strukturen im menschlichen Gesicht
Bedenkt man die Menge an Funktionen, die das Gesicht des Mensche ausüben soll, fragt man sich doch, wie es dazu gekommen ist. PD Dr. med. Sebastian Cotofana, Westindien, wirft einen Blick auf
die menschliche Stammensgeschichte.
Das Gesicht steht in erster und wichtigster Linie im Dienste der Kommunikation mit der Außenwelt. Sowohl der verbalen mit Mund, Zähnen, Lippen und Zunge wie auch der nonverbalen mit
Augenbewegung, Hautdurchbutung und Mimik. Jedoch hat das Gesicht noch viele weitere kardinale Funktionen, die für unser Überleben als Individuum wichtig sind. Nahrungsaufnahme und
Nahrungszerkleinerung über unseren Mund, und Atmung über Nase und Mund. Die letzten beiden genannten Funktionen sind so immanent wichtig, dass sie nicht spezifisch für den Menschen alleine sind.
Diese einzigartige Form der Kommunikation allerdings ist uns Menschen eigen, denn kein anderes Lebewesen auf diesem Planeten hat ein so ausgeklügeltes Repertoire an Mechanismen sich der Umwelt
oder den Artgenossen mitzuteilen wie etwa über die Sprache (Abbildung 1).
Betrachtet man die Errungenschaften der Evolution, so sind im Laufe der Entwicklung vom Einzeller zum Schimpansen Strukturen wie der Kauapparat, Lungen, Klauen/Fingernägel, Fell und Brustdrüsen
entstanden, die alle zur bestmöglichen Anpassug des jeweiligen Organismus an seine jeweilige Umgebung geführt haben. Jedoch glaubte Konrad Lorenz, dass die weitere Entwicklung nicht im jeweiligen
Individuum selbst geschieht, sondern in der Gruppe zu sehen ist, in der das Individuum sich befindet. Die Gruppe dient dem jeweiligen Individuum zur Weiterentwicklung. Eine Gruppe bringt Vorteile
bei der Aufzucht von Nachkommen, bietet Schutz, ermöglicht Arbeitsteilung und Lernen und erleichtert die Partnersuche, nur um einige Vorteile aufzuzählen. Ein Beispiel aus der heutigen Zeit, die
diesen Sachverhalt teilweise beweist, ist das Internet. Über dieses Medium kann ein Individuum Vorteile erlangen, welche es als einzelnes in diesem Ausmaß nicht haben könnte. Jedoch um diese
Vorteile nutzen zu können, bedarf es an Koordination. Und diese Koordination übernimmt nach Forschungsergebnissen an Primaten die Kommunikation. Mittels Kommunikation kann eine Gruppe koordiniert
werden, sodass diese funktioniert und in der Tat, jene Vorteile bringt, die eine Gruppe gemeinsam erreichen könnte, Eine weitere Frage, die sich stellt, ist, was eigentlich kommuniziert wird.
Dieser Frage haben sich schon vor längerer Zeit Forscher gewidmet und die einhellige Meinung ist, dass Kommunikation die Expression von inneren Zuständen ist. Innere Zustände kann man als Gefühle
bezeichnen oder auch als Emotionen. Und betrachtet man die Etymologie dieses Wortes Emotion, so heißt dieses nichts anders als heraus-bewegen oder heraus-tragen von dem lateinischen e-movere.
Emotionen sind derart mannigfaltig und schwierig zu klassifizieren, dass es kaum glaubhaft ist, dass es hierbei irgendeine Regelmäßigkeit gibt. Es war niemand anderes als Charles Darwin, der in
seinem Buch „The expression of the emotion in man and animals“ aufgezeigt hat, dass es Gemeinsamkeiten zwischen Tieren und Menschen im Ausdruck von Emotionen gibt, wodurch der Beweis versucht
wurde, dass der Ausdruck von Emotionen ein stammesgeschichtliches Erbe ist und auf gewisse Muster, auf sogenannte Grundemotionen zurückzuführen ist. Diese sind laut neuesten Ergebnissen ihrer
Zahl sechs: Wut, Trauer, Freude, Angst, Ekel und Überraschung (nach Paul Ekman).
Jedoch um diese Grundemotionen, die unsere Vorfahren aus dem Tierreich schon hatten, ausdrücken zu können, benötigt ein Individuum Muskeln, um die darüberliegende Haut entsprechend zu bewegen und
jene Bewegungen auszuführen, die die entsprechende Mimik zur Folge hat. Präparationen von mimischen Muskeln an Affen aus verschiedenen Stufen der Entwicklung haben gezeigt, dass die mimischen
Muskeln im Laufe der Jahrtausende von Ohr und Nase in Richtung Mund und Augen gewandert sind (wie beim Menschen aktuell vorzufinden) und dass auch deren Anzahl zugenommen hat und mit der Zahl
übereinstimmt, die man aktuell beim Menschen vorfinden kann – zwischen 15 und 17, je nach Ausprägung.
Geht man in die Neurowissenschaften und untersucht die neuronale Basis der Bewegung der mimischen Muskulatur, so haben Forscher innerhalb der letzten 30 Jahre herausgefunden, dass das Volumen des
Nucleus motorius nervi facialis, jener Hirnnervenkern, der die mimische Muskulatur steuert, positiv mit der Gruppengröße korreliert, in der das jeweilige Tier lebt. Auch wurde eine positive
Korrelation gefunden zwischen Volumen dieses Kerns und der Zeit, in der sich die Tiere der Fellpflege widmen.
Die Forscher schlossen daraus, dass je größer eine Gruppe ist, desto mehr Kommunikation und Interaktion besteht in so einer Gruppe. Entsprechend ist das Volumen des Hirnnervenkerns, der zuständig
für Kommunikation ist, im Verhältnis gesehen größer, eben weil eine Gruppe koordiniert werden muss und diese Koordination mittels Kommunikation i. e. über die individuelle Mimik erfolgt.
Betrachtet man die Abbildung von Gesichtern von Primaten und Menschen (Abbildung 2), so fallen doch etliche weitere Unterschiede auf, die auf eine evolutionäre Weiterentwicklung schließen
lassen.
Im Bereich der Augen besticht zunächst, dass wir Menschen eine weiße und deutlich sichtbare Sklera haben, die sich als zwei kleine weiße Dreiecke neben der Iris gut erkennen lassen. Dies ist bei
den Primaten nicht zu finden. Forcher vermuten, dass dies den Kontrast erhöht (dunkle periorbitale Haut – weiße Sklera – dunkle Iris) und man damit besser den Sitz der Augen und noch viel
wichtiger die Blickrichtung erkennen kann.
Dies soll sich aus dem Gruppenfluchtverhalten entwickelt haben, wenn Feinde sich der Gruppe näherten, und andere Individuen aus der Gruppe die Feinde bereits erkannt haben und dies der Gruppe
mitteilen wollen aus welcher Richtung dieser kommt.
Primaten können diese Warnung nicht an der Blickrichtung der Augen erkennen, sondern nur an der Stellung des gesamten Kopfes.
Betrachtet man das Mittelgesicht von Primaten, so fällt auf, dass diese im Vergleich zum Menschen eingefallene Wangen haben. Morphologischer Hintergrund hiervon ist, dass Primaten keinen Corpus
adipusom buccae (Bichat´scher Fettkörper) besitzen. Menschen haben diesen zwischen Musculus buccinator und Musculus masseter (größtenteils) sitzenden Fettkörper sehr wohl.
Ein rundliches Gesicht gilt im Allgemeinen als gesund und attraktiv und viele Prozeduren in der Ästhetik zielen auf deren (Wieder-)Herstellung ab. Auch ist das sogenannte “Kindchen-Schema”,
welches mütterlich-ähnliche Verhaltensweisen beim Betrachter hervorruft ohne ein rundlich-volles Gesicht kaum auslösbar.
Betrachtet man abschließend den unteren Teil des Gesichtes, so fallen einem sofort die roten Lippen beim Menschen auf, die in dieser Form bei den Primaten nicht zu finden sind. Die Lippen sind
beim Menschen dicker, feuchter und röter.
Dies kommt daher, dass sich die Lippen im Laufe der Weiterentwicklung nach außen hin gedreht haben und die gut durchblutete Schleimhaut mit dem dichten subdermalen Gefäßplexus sichtbar geworden
ist.
Durch diese Eversion erscheinen die Lippen auch voller und weicher. In der Ästhetik ist die am häufigsten angewandte Prozedur die Lippenaugmentation, die eben diesen Effekt versucht
nachzustellen. Volle Lippen signalisieren Attraktivität und bei Frauen Weiblichkeit und damit steht dies auch im Dienste der Kommunikation, wenn auch der nonverbalen.
Basierend auf den wissenschaftlichen Ergebnissen aus dem Tierreich kann man tendenziell erkennen, wie und warum sich gewisse Strukturen im menschlichen Gesicht entwickelt haben und wo diese
jeweiligen Entwicklungen ursprünglich herrühren.
Zusammenfassend kann man auch sagen, dass die Strukturen im menschlichen Gesicht im Dienste des Fortbestands der eigenen Art stehen und dass wir in der heutigen Zeit diese Funktionen in ihrer
ursprünglichen Form aufgrund unserer entwickelten Zivilation wenig bis kaum noch benötigen.
Jedoch haben wir auch damit gelernt umzugehen und man kann die kommenden Schritte in der Evolution nur mit Spannung erwarten.