E-Health-Gesetz

Zuckerbrot und Peitsche

Lange angekündigt ist nun ein Referentenentwurf für ein E-Health-Gesetz im
Umlauf. Er sieht konkrete Fristen für manche Schritte vor, droht mit Kürzungen
bei Nichteinhalten und lockt in anderen Fällen mit zusätzlichen Vergütungen.

Feine Ironie der digitalen Vernetzung: Noch bevor der Referentenentwurf für ein EHealth- Gesetz am 19. Januar offiziell in die Diskussion ging, wurde er am 13. Januar „geleakt“, also auf einer Internetplattform veröffentlicht. Groß war das Datenleck in dem Fall sicher nicht, am selben Tag wurde von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) schließlich auch ein Namensartikel in der FAZ veröffentlicht, der als Argumentationshilfe zu dem Gesetzentwurf zu verstehen war. In diesem Artikel gab er sich mit Blick auf die elektronische Gesundheitskarte keiner Illusion hin, „vorerst ist sie wie ein Sportwagen, der in der Garage auf seinen Einsatz lauert“, kommentierte er und forderte: „Wir brauchen endlich Datenautobahnen, damit die elektronische Gesundheitskarte zeigen kann, was in ihr steckt.“ Das bunte Bild aus der Automobiltechnik führte zu einer klaren Ansage, das angekündigte E-Health-Gesetz werde einem einfachen Grundsatz folgen: „Wer blockiert, zahlt!“ Im Referentenentwurf für das „Gesetz für sichere digitale Kommunikation und Anwendungen im Gesundheitswesen“, so der offizielle Titel des E-Health-Gesetzes, ist dies dann an verschiedenen Stellen mit festgeschriebenen Ausgabenkürzungen im Falle von Fristversäumnissen umgesetzt, in anderen Bereichen wird dagegen mit finanziellen Anreizen gearbeitet. Eine verbindliche Frist, und zwar den 30. Juni 2016, sieht der Entwurf beispielsweise für den Versichertenstammdatendienst vor, ist die Infrastruktur bis dahin nicht dafür verwendbar, werden die Ausgaben bei den öffentlich-rechtlichen Gesellschaftern der Gesellschaft für Telematik um ein Prozent gekürzt. Ebenfalls ein Prozent Kürzung, und zwar der Vergütung vertragsärztlicher Leistungen, müssen Arztpraxen nach dem Entwurf hinnehmen, wenn sie nach dem 1. Juli 2018 der Pflicht zur Versichertenstammdatenprüfung nicht nachkommen. Die Ärzte verlocken sollen Vergütungen für das Erstellen und Aktualisieren eines Notfalldatensatzes ab 2018, der Bewertungsausschuss soll den EBM und die Vertragspartner die Telematikzuschläge bis zu Ende September 2017 entsprechend anpassen. Krankenhäuser sollen für das Erstellen eines elektronischen Entlassbriefes einen Euro erhalten und Ärzte für dessen Einlesen in der Praxis 50 Cent. Diese Vergütung wird im Entwurf als Anschubfinanzierung bezeichnet und auf zwei Jahre begrenzt, genannt ist der Zeitraum vom 1. Juli 2016 bis zum 30. Juni 2018. An der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Ärzte und Einrichtungen sollen außerdem für die Jahre 2016 und 2017 eine Pauschale von 55 Cent für die sichere Übermittlung von elektronischen Briefen erhalten. Auch die Patienten werden bei all den sozialbürokratischen Vorgängen nicht vergessen, auch sie bekommen etwas in die Hand, und zwar wortwörtlich: Patienten, die mindestens fünf verordnete Medikamente anwenden, erhalten ab Oktober 2016 einen Anspruch auf einen einheitlichen Medikationsplan – in Papierform. Zur besseren Aktualisierbarkeit ist zusätzlich ein elektronischer Medikationsplan vorgesehen, irgendwann soll er ja schließlich auch einmal Einzug auf die eGK halten. Dafür sollen die Versicherten nun fünf Euro zahlen, wenn die eGK aus selbst verschuldeten Gründen nicht ausgestellt werden kann und von der Krankenkasse eine Ersatzbescheinigung zum Nachweis der Berechtigung zur Inanspruchnahme von Leistungen ausgestellt wird, ein Schlag gegen „eGK-Verweigerer“. Weitere Regelungen des Referentenentwurfs sehen vor, telemedizinische Leistungen im EBM auszubauen und mit Zuschlägen zu fördern, namentlich genannt ist die konsiliarische Befundbeurteilung von Röntgenaufnahmen. Außerdem soll die Telematikinfrastruktur auch für weitere Anwendungen im Gesundheitsbereich ohne Einsatz der elektronischen Gesundheitskarte geöffnet werden. Auf dem 5. Nationalen Fachkongress Telemedizin hatte Oliver Schenk, Abteilungsleiter Grundsatzfragen im Bundesgesundheitsministerium, mit Blick auf das Gesetzesvorhaben auch das Thema Interoperabilität der verschiedenen IT-Systeme erwähnt, „wir wollen keine IT-Insellösung, wir wollen Verbindungen statt Schnittstellen“, so der Ministeriale. Im Gesetzesentwurf findet sich dazu der sperrige Begriff des „Interoperabiliätsverzeichnisses“, das bei der Gematik aufgebaut werden soll, um Transparenz über verwendete technische und semantische Standards, Profile und Leitfäden im Gesundheitswesen herzustellen. Darüber hinaus wird den einzelnen Sektoren die Befugnis gegeben (ohne sie dazu zu verpflichten), offene Schnittstellen zu definieren.


Ja-aber der Stellungnahmen


Was das „Amen“ in der Kirche ist das „Ja, aber“ in der E-Health-Diskussion. Entsprechend fallen auch die Stellungnahmen der interessierten Seiten zu dem Referentenentwurf aus. Grundsätzlich richtig ist es nach Dafürhalten von Dr. Franz-Joseph Bartmann, Patienten und Ärzten zügig sinnvolle medizinische Anwendungen über die Telematikinfrastruktur zur Verfügung zu stellen. „Höchst problematisch ist jedoch die Wahl der Mittel“, sagte der Sprecher im Vorstand der Bundesärztekammer für Telemedizin und Telematik. Damit gemeint sind die Malusregelungen für Vertragsärzte, „wir lehnen derlei Strafandrohungen strikt ab, zumal sie sich auf die Einführung von Verwaltungsfunktionalitäten beziehen, die keinerlei medizinischen Nutzen bringen. Statt auf Sanktionen sollte die Politik auf intelligente Anreize setzen“, forderte Bartmann. Insbesondere die Anwendung Notfalldaten, für die die Bundesärztekammer die fachlich-inhaltliche Projektleitung innehat, werde in hohem Maße über die Akzeptanz des Gesamtprojektes entscheiden. Es wäre fatal, wenn man es auf dem letzten Kilometer unterlässt, nach zehnjähriger Arbeit am eGK-Projekt, die erste sinnvolle medizinische Anwendung nicht mit den notwendigen positiven Anreizen bei Patienten und Ärzten auszustatten, warnte die BÄK in ihrer Stellungnahme. Von einem „guten Signal“ sprach der Sprecher des GKV-Spitzenverbands Florian Lanz im Zusammenhang mit den „klaren Vorgaben und Sanktionen“ für alle Akteure des Gesundheitswesens. Bei der Pauschale für die Nutzung des elektronischen Arztbriefes kritisierte er jedoch, dass bei Nichtnutzung nicht umgekehrt eine Sanktionierung folgt. Positiv bewertete Lanz die Klarstellung, dass für medizinische und administrative Telematikanwendungen zukünftig nur die von der Gematik geschaffene Telematikinfrastruktur zulässig sei. „Unsichere und kostenintensive Parallelsysteme soll es in Zukunft nicht mehr geben“, forderte er. Die Vorstandsvorsitzende des Verbandes der Ersatzkassen Ulrike Elsner freut sich über klare Fristen und die Einführung von Sanktionen, „um Blockadehaltungen insbesondere bei den Leistungserbringern zu unterbinden“, sie wand sich gegen die finanziellen Anreize für Ärzte: „Es ist nicht nachzuvollziehen, weshalb das Einlesen oder der Versand von elektronischen Arztbriefen – Tätigkeiten, die ansonsten aufwendig in Papierform erfolgen müssen – nun extra vergütet werden sollen. Im Gegenteil: Hier wird Praxispersonal durch elektronische Anwendungen entlastet“, begründete sie. Als „Knüppel“, mit dem die digitale Transformation im Gesundheitswesen und vor allem das Projekt elektronische Gesundheitskarte durchgesetzt werden soll, bezeichnete die Freie Ärzteschaft den Gesetzentwurf. Ihr Vorsitzender Wieland Dietrich äußerte scharfe Kritik, „Minister Gröhe entwickelt sich zum obersten Zwangsbeamten in unserem Land“, warnte er, mit der Freiwilligkeit der Datenpreisgabe werde das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aufgegeben. Die Vizevorsitzende Dr. Silke Lüder assistierte: „Das Gesetz soll den Durchbruch für das Online-Versichertenstammdatenmanagement bringen – es gelten aber die Ablehnungsbeschlüsse aller Ärztetage und der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung.“ In einer Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Telemedizin wird der Referentenentwurf grundsätzlich begrüßt, zugleich aber kritisiert, dass die Absicht, telemedizinische Leistungen zu fördern, nur marginal umgesetzt werde. Auch unternehme der Gesetzentwurf nicht den Versuch, die Nutzenbewertung telemedizinischer Leistungen an aktuelle medizinische und technologische Entwicklungen anzupassen. In seiner Stellungnahme unterbreitet die Gesellschaft auch Vorschläge zur Beseitigung von Rechtsunsicherheit im Zusammenhang mit dem Fernbehandlungsverbot, dessen extensive Ausgelegung der zügigen Umsetzung telemedizinischer Leistungen in die Regelversorgung im Wege stehe. Der Bundesverband Medizintechnologie hat sich in einer Stellungnahme für die Aufnahme konkreter Regelungen zur Telekardiologie ausgesprochen, um auch hier das Stadium der Insellösungen zu verlassen und zu einer flächendeckenden Versorgung zu kommen. Deren Anwendung werde in den Richtlinien von ESC und DGK empfohlen. ms