Krebsforschung Ein CAU-Forschungsteam weist eine ursächliche Rolle bestimmter Mikroorganismen bei der Entstehung von Tumoren nach, in der durch umweltbedingte Störungen der normalen Bakteriengemeinschaft das Gewebe eines Wirtslebewesens von Bakterien aus der Umwelt besiedelt werden kann.
Seit Längerem ist bekannt, dass bestimmte Krankheitserreger, insbesondere Viren und Bakterien, als Ursache von Krebs infrage kommen. Drei Viren und ein Bakterium sind dabei Risikofaktoren: das
humane Papillomavirus, die humanen Hepatitisviren B und C sowie das Magenbakterium Helicobacter pylori. Doch spielt neben diesen mittlerweile gut bekannten Krankheitserregern auch das gesunde
Mikrobiom, also die Gesamtheit und Balance der Mikroorganismen in einem Körper, eine Rolle bei der Krebsentstehung? Ein Forschungsteam um Prof. Dr. rer. nat. Dr. h. c. Thomas Bosch von der
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) konnte nun am Beispiel des einfach organisierten Süßwasserpolypen Hydra zeigen, dass nach einer umweltbedingten Störung der normalen
Bakteriengemeinschaft das Gewebe eines Wirtslebewesens von Bakterien aus der Umwelt besiedelt werden kann. Der Kontakt mit dort bereits vorhandenen Mikroben führt dann zur Bildung von Faktoren,
die eine schädigende Wirkung auf die Zellstrukturen haben und letztendlich die Tumorentstehung auslösen. Die im Rahmen des CAU-Sonderforschungsbereichs (SFB) 1182 „Entstehen und Funktionieren
von Metaorganismen“ entstandenen Forschungsergebnisse veröffentlichte das Kieler Team in der Fachzeitschrift PLOS Pathogens.
Evolutionäre Ursprünge von Krebserkrankungen
Einen Ansatz für ihre neuen Erkenntnisse fand das Forschungsteam in vorangegangenen Arbeiten zu den Ursprüngen der Krebsentstehung in der Entwicklungsgeschichte des Lebens. Am Süßwasserpolypen
Hydra, einem stammesgeschichtlich sehr alten vielzelligen Organismus, konnten die Forschenden bereits vor einigen Jahren zeigen, dass grundsätzlich alle vielzelligen Lebewesen Tumore bilden
können. „Wir vermuten, dass Krebs eine Begleiterscheinung der Entstehung der Vielzelligkeit früh in der Evolution des Lebens ist“, betont Dr. Alexander Klimovich, Wissenschaftler in der Zell-
und Entwicklungsbiologie an der CAU und Leiter der Studie. „Da alle vielzelligen Organismen zudem ein Mikrobiom besitzen und sich mit ihren mikrobiellen Symbionten über Millionen von Jahren
gemeinsam entwickelt haben, liegt eine Beteiligung der Kleinstlebewesen auch an der Entstehung von Krebs nahe“, so Klimovich weiter.
Gestörte Bakterienbesiedlung löst Tumorbildung aus
In Laborexperimenten konnte der Doktorand Kai Rathje in Zusammenarbeit mit dem Forschungsteam eine solche ursächliche Beteiligung nun konkret für einzelne Bakterienarten und deren Interaktionen
innerhalb des Mikrobioms der Nesseltiere nachweisen. „Hydren erkranken an Krebs, wenn sich eine bestimmte fremde Bakterienart aus der Gruppe der Spirochäten gehäuft im Mikrobiom einnistet und
damit das Gleichgewicht der Bakterienbesiedlung in ihrem Gewebe stört“, betont Klimovich. „Interessanterweise entfalten diese Bakterien ihre schädliche Wirkung nur in Anwesenheit bestimmter
anderer Bakterien aus der Gattung Pseudomonas, die zur normalen Zusammensetzung des Mikrobioms gehören.“
An der Tumorbildung bei den Nesseltieren ist also eine Interaktion von Mikroben untereinander beteiligt und als erster Impuls auch der Einfluss der Umwelt: Die Tiere nehmen die schädlichen
Spirochäten zunächst aus dem Umgebungswasser auf. Eine Besiedelung des Wirtsgewebes gelingt den eindringenden Bakterien aber nur, wenn das Gewebe der Hydren durch veränderte Faktoren in der
Umwelt bereits geschwächt ist. Zu diesen Faktoren gehören eine geänderte Temperatur und in der Folge auch eine geänderte mikrobielle Besiedelung. Die Forschenden konnten experimentell belegen,
dass Spirochäten und Pseudomonas-Bakterien aus dem natürlichen Mikrobiom miteinander interagieren und beide dadurch ihr Verhalten drastisch ändern. Bei ihrem Aufeinandertreffen wandeln die
Bakterien ihre Bewegungsmuster ab und suchen den direkten Kontakt. In der Folge beginnen sie auch unterschiedliche Erbinformationen abzurufen und aktivieren dabei insbesondere Faktoren, die eine
krankmachende Wirkung für das Wirtslebewesen haben. Durch diese Veränderungen gerät das mikrobielle Gleichgewicht im Gewebe der Nesseltiere durcheinander, es folgen strukturelle Veränderungen in
den Zellen und schließlich die Tumorbildung. Wie diese Wechselwirkungen auf molekularer Ebene ablaufen und welche konkreten biochemischen Mechanismen an dieser Form der Krebsentstehung beteiligt
sind, ist Gegenstand derzeit laufender Untersuchungen.
Das Mikrobiom – Einfallstor und Schutzbarriere zugleich
„Unsere neuen Forschungsergebnisse deuten auf ein universelles Prinzip hin, das unser Verständnis der Entstehung von Krebserkrankungen erweitern wird – nämlich als ein umfangreiches Zusammenspiel
von genetischen und Umweltfaktoren einschließlich konkreter mikrobieller Einflüsse“, betont Bosch. „Die neuen Forschungsergebnisse zeigen, dass ein wichtiger Aspekt bei der Krebsentstehung im
Kontext der mikrobiellen Wechselwirkungen zu suchen ist – erst die gemeinsame Anwesenheit bestimmter miteinander interagierender Bakterien innerhalb eines gestörten Mikrobioms machte in dem von
uns untersuchten Fall die Bildung von Tumoren möglich. Es ist also vermutlich in vielen Fällen nicht ein einzelner schädlicher Eindringling, sondern der Wegfall des Mikrobioms als Schutzbarriere
des Körpers insgesamt, der die Krebsentstehung fördern kann.“
In diesen Erkenntnissen liegt eine vielversprechende Perspektive, denn die Schutzfunktion des Mikrobioms könnte sich in Zukunft möglicherweise nutzen lassen: „Die mikrobielle Besiedlung des
Körpers pendelt sich im Normalfall in einem Gleichgewicht ein und schirmt den Organismus vor schädlichen Einflüssen ab, potenziell auch vor krebserregenden“, sagt Bosch. „Künftige Forschung wird
zeigen, ob sich diese Fähigkeit des Mikrobioms zur Aufrechterhaltung einer gesunden Barriere, die den Körper vor der Besiedlung mit schädlichen Mikroorganismen schützt, möglicherweise auch zur
Prävention von Krebserkrankungen nutzen lässt“, so Bosch. Denkbar wären in Zukunft gezielte Eingriffe in die Zusammensetzung des Mikrobioms. Solche Manipulationen könnten die Ansiedlung
bestimmter krebserzeugender Bakteriengemeinschaften möglicherweise zurückdrängen und so die gesunde Balance des Mikrobioms wiederherstellen. Bis solche Präventions- oder Therapieformen
realisierbar werden könnten, ist jedoch weitere umfangreiche Grundlagenforschung
nötig.
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Kontakt
Prof. Dr. rer. nat. Dr. h. c. Thomas Bosch
Sprecher SFB 1182 „Entstehen und Funktionieren von Metaorganismen“
CAU Kiel
Tel.: 0431-880-4170
Originalpublikation:
Kai Rathje, Benedikt Mortzfeld, Marc P. Hoeppner, Jan Taubenheim, Thomas Bosch, Alexander Klimovich (2020): Dynamic interactions within the host-associated microbiota cause tumour formation
in the basal metazoan Hydra. PLOS Pathogens Published on 19 March 2020
Info
Über den SFB 1182
Der Sonderforschungsbereich „Entstehen und Funktionieren von Metaorganismen“ ist ein interdisziplinäres Netzwerk unter Beteiligung von rund 80 Forschenden, das die Interaktionen spezifischer
Mikrobengemeinschaften mit vielzelligen Wirtslebewesen untersucht. Es wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) unterstützt und beschäftigt sich mit der Frage, wie Pflanzen und Tiere
einschließlich des Menschen gemeinsam mit hoch spezifischen Gemeinschaften von Mikroben funktionale Einheiten (Metaorganismen) bilden. Ziel des SFB 1182 ist es, zu verstehen, warum und wie
mikrobielle Gemeinschaften diese langfristigen Verbindungen mit ihren Wirtsorganismen eingehen und welche funktionellen Konsequenzen diese Wechselwirkungen haben. Im SFB 1182 sind
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus fünf Fakultäten der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU), vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, dem Max-Planck-Institut für
Evolutionsbiologie Plön, der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, dem Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und der Mathematik und der Muthesius Kunsthochschule
zusammengeschlossen.