Nichteinhaltung der Fortbildungsverpflichtung bei Vertragsärzten

Am Ende steht die Zulassungsentziehung

Vertragsärzte müssen gemäß § 95d SGB V alle fünf Jahre gegenüber ihrer Kassenärztlichen Vereinigung nachweisen, dass sie sich in dem zurückliegenden Zeitraum adäquat fortgebildet haben. Andernfalls droht als letzte Konsequenz die Zulassungsentziehung. Der Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht und Facharzt für Allgemeinmedizin, Dr. med. Dr. iur. Reinhold Altendorfer, München, erläutert die Hintergründe.

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Dr. med. Dr. iur. Reinhold Altendorfer

Unbeachtet der Befehdung durch weltanschauliche Gegner und trotz der kirchlichen Attacken gegen die Leichenzergliederung entstanden im Mittelalter an den Universitäten des strenggläubigen Italiens sogenannte „Anatomische Theater“. Dort hielten fortschrittliche Mediziner anatomische Vorlesungen mit praktischen Demonstrationen. Vor allem deshalb begaben sich Medizinstudenten aus ganz Europa zur Ausbildung nach Bologna, Padua oder Ferrara. Eine Fortbildungspflicht kannte man damals noch nicht, vielmehr war es die Neugierde und der Drang der Medizinstudenten und der Ärzte, den eigenen medizinisch-wissenschaftlichen Horizont zu erweitern, der sie zum Besuch der Anatomischen Theater auf freiwilliger Basis anmierte.
Einige Jahrhunderte später sieht die Realität, zumindest in Deutschland, schon anders aus: Vertragsärzte müssen gemäß § 95d SGB V alle fünf Jahre gegenüber ihrer Kassenärztlichen Vereinigung nachweisen, dass sie sich in dem zurückliegenden Zeitraum adäquat fortgebildet haben. Hierzu ist der Erwerb von jeweils 250 Fortbildungspunkten nachzuweisen. Die „sozialrechtliche Fortbildungsverpflichtung“ gilt entsprechend für ermächtigte Ärzte sowie bei einem Vertragsarzt oder im MVZ angestellte Ärzte. Nicht der Fortbildungspflicht unterliegen dagegen genehmigte Vertreter, genehmigte Ausbildungs-, Sicherstellungs- oder Weiterbildungsassistenten, da diese nicht dauerhaft, sondern lediglich zeitlich befristet angestellt sind.
Wird der Nachweis über die geleistete Fortbildung gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung nicht oder nicht rechtzeitig erbracht, ist diese verpflichtet, in den auf das Ende des Fünfjahreszeitraums folgenden vier Quartalen Honorarkürzungen in Höhe von 10 %, ab dem 5. Quartal Honorarkürzungen in Höhe von 25 % vorzunehmen. Die Nachholung der Fortbildung ist nur binnen zweier Jahre nach Ende des versäumten Fünfjahreszeitraums möglich. Die Honorarkürzungen enden dabei erst nach Ablauf desjenigen Quartals, in dem der vollständige Fortbildungsnachweis erbracht wird. Die nachgeholte Fortbildung wird auf den folgenden Fünfjahreszeitraum nicht angerechnet. Der Beginn des nachfolgenden Fünfjahreszeitraums verschiebt sich durch die Nachholung nicht.
Nach erfolglosem Ablauf der Nachholfrist soll die Kassenärztliche Vereinigung einen Antrag auf Entziehung der Zulassung bzw. auf Widerruf der Ermächtigung oder der Anstellungsgenehmiung stellen. Der Gesetzgeber gibt den Kassenärztlichen Vereinigungen bei diesen Sanktionen so gut wie keinen Spielraum.
Das Bayerische Landessozialgericht hatte einen Fall zu entscheiden, in dem eine Vertragsärztin bei einem fortgesetzten Verstoß gegen die Fortbildungspflicht eingewendet hatte, dass sie aus persönlichen Gründen ihrer Fortbildungspflicht nicht nachkommen konnte (Urteil vom 19. März 2014, Az. L 12 KA 72/13). Die Vertragsärztin konnte trotz mehrfacher Mahnung und Belehrung über die Folgen weder im Fünfjahreszeitraum von 2004 bis 2009 noch in der anschließenden zweijährigen Nachfrist bis 2011 die notwendigen Fortbildungen nachweisen. Auch die gesetzlich vorgesehenen Honorarkürzungen um zunächst 10 % und dann 25 % konnten die Ärztin nicht dazu bringen, ihrer Fortbildungspflicht nachzukommen.
Sie brachte zu ihrer „Verteidigung“ im Wesentlichen vor, dass in dem betreffenden Zeitraum sowohl ihre noch lebende Mutter als auch ihr Ehemann mehrmals über längere Zeit jeweils schwer erkrankt seien. Hinzu seien Schul- und Erziehungsprobleme bei ihrer Tochter und auch ihrem Sohn gekommen. Das Haus, in dem sich die Praxis befinde, sei 2009 zur Zwangsversteigerung angestanden. Ungeachtet dessen sei es ihr gelungen, ihren Praxisbetrieb ordnungsgemäß aufrechtzuerhalten und gleichzeitig in einer medizinischen Schule Unterricht zu erteilen. Seit 2011 habe die Ärztin einiges unternommen, um ihre Fortbildungsrückstände aufzuholen. Sie habe 182 Punkte während des Widerspruchsverfahrens nachgewiesen. Außerdem habe die Verhandlung vor dem Zulassungsausschuss, in der über ihre Zulassungsentziehung entschieden wurde, nur vier Minuten gedauert. Der Zulassungsentziehungsbescheid sei daher formell nichtig. Es habe aber vor dem Zulassungsausschuss keine Verhandlung zur Sache stattgefunden, „sondern eine reine Farce“.
Daraufhin beantragte die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns die Entziehung der Zulassung. Der Zulassungsausschuss entzog der Ärztin wegen der Verletzung der Fortbildungspflicht, die als gröbliche Pflichtverletzung anzusehen sei, die Zulassung. Die nächsthöheren Instanzen, der Berufungsausschuss und das Sozialgericht bestätigten diese Entscheidung.
Das Bayerische Landessozialgericht wies durch sein Urteil die Berufung der Vertragsärztin zurück. Die Entziehung der Zulassung sei rechtmäßig. Eine andere Betrachtung ergebe sich aus den von der Ärztin geschilderten privaten Umständen – einem Strafverfahren, den Erziehungsproblemen und der Erkrankung des Ehemannes, der Schwiegermutter und der eigenen Mutter – nicht. Schwierige private Lebensumstände könnten Vertragsärzte nicht von der Erfüllung ihrer vertragsärztlichen Pflichten entbinden, da die Patientensicherheit insbesondere auch durch eine ausreichende Fortbildung gewährleistet sein müsse. Sei ein Vertragsarzt aus persönlichen Gründen nicht (mehr) in der Lage, seinen Pflichten (in vollem Umfang) nachzukommen, sei er grundsätzlich gehalten, das vollständige oder hälftige Ruhen seiner Zulassung zu beantragen.
Rechtsgrundlage der Zulassungsentziehung, so die Bayerischen Sozialrichter, sei § 95 Abs. 6 SGB V. Danach ist die Zulassung zu entziehen, wenn ein Vertragsarzt seine vertragsärztlichen Pflichten gröblich verletzt. Zu diesen vertragsärztlichen Pflichten gehöre die in § 95 d SGB V geregelte Pflicht zur fachlichen Fortbildung. Ein Verstoß gegen die Fortbildungsverpflichtung sei dann als gröbliche Pflichtverletzung zu sehen, wenn sie so schwer wiege, dass ihretwegen die Entziehung zur Sicherheit der vertragsärztlichen Versorgung notwendig ist. Davon ist auszugehen, wenn die gesetzliche Ordnung der vertragsärztlichen Versorgung durch das Verhalten eines Vertragsarztes in so erheblichem Maße verletzt wird und das Vertrauensverhältnis zu den vertragsärztlichen Institutionen so tiefgreifend und nachhaltig gestört ist, dass ihnen eine weitere Zusammenarbeit mit dem Vertragsarzt nicht mehr zugemutet werden kann. Diese Voraussetzungen waren im konkreten Fall erfüllt, da die Vertragsärztin von der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns mehrfach angeschrieben wurde, sogar um eine Stellungnahme gebeten wurde, jedoch nicht reagiert hätte und keine Bereitschaft gezeigt hatte, ihrer Fortbildungspflicht nachzukommen. Dabei ist von besonderer Bedeutung, dass die Vertragsärztin trotz der seit 1. Juli 2009 laufenden Honorarkürzungen nicht bereit gewesen sei, ihrer Fortbildungspflicht nachzukommen. Dies ist ein Hinweis auf eine vorsätzliche Missachtung vertragsärztlicher Pflichten, die im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts eine weitere Zusammenarbeit im Rahmen des Vertragsarztsystems ausschließt.
Eine Anrechnung 2012 und später erworbener Fortbildungspunkte auf den Fortbildungszeitraum von 2004 bis 2009 scheide aus prozessualen wie auch aus materiellrechtlichen Gründen aus.
Nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist bei Zulassungsentziehungen der maßgebliche Entscheidungszeitpunkt derjenige des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens, das heißt der Entscheidung des Berufungsausschusses (Urteil des Bundesozialgerichts vom 17. Oktober 2012, Az. B 6 KA 49/11 R). Betrachtet man die Bereitschaft der Ärztin ab dem Jahr 2012, ihrer Fortbildungspflicht nachzukommen, als Wohlverhalten, so kann dieses Wohlverhalten erst im Verfahren über eine neue Zulassung zugunsten der Klägerin berücksichtigt werden.

Dr. med. Dr. iur. Reinhold Altendorfer
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