Ärztlicher Bereitschaftsdienst
Die Änderung der Bereitschaftsdienstordnung bringt einige Risiken mit sich. Rechstanwalt Dr. med. Dr. jur. Reinhold Altendorfer erläutert die Umstände.
Trotz steigender Ärztezahlen kam es in der Vergangenheit jenseits der Ballungszentren immer wieder zu Engpässen im Rahmen der Durchführung des Ärztlichen Bereitschaftsdienstes. Dieser wird
gegenwärtig noch überwiegend von Allgemeinärzten und Fachärzten der organmedizinischen Versorgung durchgeführt. Die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns (KVB) hat daher vor gut zwei Jahren eine
geänderte Bereitschaftsdienstordnung (BDO) auf den Weg gebracht, die für einige Arztgruppen für einschneidende Änderungen sorgte. Neben den bislang zum Bereitschaftsdienst Verpflichteten haben
nunmehr auch Arztgruppen wie die Radiologen, Strahlentherapeuten, Neurochirurgen, Nuklearmediziner, Humangenetiker oder Pathologen Dienste zu leisten. Dies gilt nicht nur für die niedergelassenen
Vertragsärzte, sondern auch für angestellte Ärzte in Praxen und in Medizinischen Versorgungszentren.
Allergrößte Zweifel sind spätestens dann angebracht, wenn man das notfallmedizinische Tätigwerden dieser Arztgruppen unter hippokratische Maßstäbe subsumiert:
„Ich werde ärztliche Verordnungen treffen zum Nutzen der Kranken nach meiner Fähigkeit und meinem Urteil, hüten aber werde ich mich davor, sie zum Schaden und in unrechter Weise
anzuwenden.“
Man stelle sich nur vor, ein seit vielen Jahren niedergelassener Radiologe hätte differentialdiagnostisch einen Myokardinfarkt zu beurteilen oder eine Meningitis bei einem Kind abzuklären. Die
KVB bietet zwar für alle Mediziner, die sich nicht hinreichend ausgebildet fühlen, über zwei Jahre Fortbildungen („Schnellkurse“) an, in denen alle wichtigen Themen behandelt werden und sieht
folglich auch keinen Grund, „warum die Ärzte das nicht können sollten“ (Originalton KVB). Die Rechtsprobleme, vor allem die Haftungsfälle, die durch unzureichend ausgebildete Ärzte im
Bereitschaftsdienst zukünftig auftreten werden, werden sehr schnell zunehmen.
Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG (Berufsfreiheit)
Die Rechtswidrigkeit der Bereitschaftsdienstordnung ist bereits darin zu erkennen, dass für einen Notdiensteinsatz unzureichend qualifizierte Facharztgruppen verpflichtet werden. Die Bestimmung
stellt einen Eingriff in die Berufsfreiheit der betroffenen Ärzte dar. Ein derartiger Eingriff sei zwar durch „vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls“ gerechtfertigt. Die Sicherstellung der
vertragsärztlichen Versorgung zu sprechstundenfreien Zeiten wäre gegebenenfalls ein „vernünftiger Grund“. Diese ist jedoch bereits aktuell gewährleistet. Die Neufassung der
Bereitschaftsdienstordnung verfolgt lediglich den Zweck einer ausgewogeneren Verteilung der Dienstverpflichtungen. Das Ziel, „die Belastung im Ärztlichen Bereitschaftsdienst möglichst gering zu
halten“, ist aber kein Gemeinwohlbelang, sondern lediglich ein Gruppeninteresse.
Eine Einschränkung in der Berufsausübung muss sich weiterhin an allgemeinen Grundsätzen des Verfassungsrechts messen lassen (Erforderlichkeit, Geeignetheit, mildestes Mittel, Verhältnismäßigkeit
im engeren Sinne). In der Präambel der BDO wird darauf abgestellt, dass „die sinkende Zahl von Ärzten, die für die vertragsärztliche Versorgung in ländlichen Bereichen zur Verfügung stehen“ im
Hinblick auf den ärztlichen Bereitschaftsdienst zu einer „starken Belastung für die Vertragsärzte“ geführt hat. Wie sich die Belastung im beruflichen Alltag darstellt, lässt sich weder aus der
Neufassung selbst noch aus den Materialien ihrer Entstehung ersehen.
Eine entsprechende Regelung muss auch bestimmten prozeduralen Anforderungen genügen. Verhältnismäßig kann demgemäß eine Regelung nur sein, wenn anhand von substantiierten Darlegungen, die der
Normgeber im Hinblick auf die erwartbaren oder bekannten (Realitäts-)Einschätzungen entwickeln muss, Prognosen über die Geeignetheit und Erforderlichkeit möglich sind. Tatsächlich gibt es zwar in
einigen Planungsbereichen im Hinblick auf die hausärztliche Versorgung eine drohende Unterversorgung. Die meisten anderen Fachgruppen – wie beispielsweise Internisten – liegen deutlich über den
Verhältniszahlen einer Regelversorgung. Die Einbeziehung der besagten Facharztgruppen ist, jedenfalls partiell, kein geeignetes Mittel, einer – vermeintlichen – Belastung aus dem strukturellen
Wandel in ländlichen Regionen entgegenzuwirken. Es gibt in den Gemeinden auf dem Land, die von einer hausärztlichen Unterversorgung betroffen sind, regelmäßig keine Fachärzte für Humangenetik,
Laboratoriumsmedizin etc. Ihre Einbeziehung in den Bereitschaftsdienst dieser (hausärztlich unterversorgten) ländlichen Regionen wird zu keiner spürbaren Entlastung der Kollegen führen.
Mildestes Mittel: Auch gegen diesen verfassungsrechtlichen Grundsatz dürfte die Neufassung der BDO verstoßen. Um den Bereitschaftsdienst quantitativ „breiter“ aufzustellen, wäre eine Option
sicherlich gewesen, Krankenhausärzte in der Facharztweiterbildung für somatische und „patientennahe“, klinisch geprägte Erkrankungsformen in den Bereitschaftsdienst einzubinden. Diese hätten im
Rahmen ihrer Ausbildung von der bereitschaftsdienstlichen Tätigkeit profitiert. Insbesondere mit der Gewährung finanzieller Anreize hätte ein solches Programm sehr attraktiv sein können.
Verhältnismäßigkeit
Selbst wenn der Neufassung der BDO mit Einbeziehung der vorgenannten Facharztgruppen ein legitimer Zweck zugrunde läge und die Umsetzung den Maßgaben der Erforderlichkeit und Geeignetheit genügen
sollte und zudem das „mildeste Mittel“ zur Erreichung des Zwecks wäre, läge in der Regelung ein Verstoß gegen das Gebot der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne.
Hier ist der Eingriffszweck den Belastungen gegenüberzustellen, die den Grundrechtsbetroffenen aus der Regelung erwachsen.
Eingriffszweck ist es, „die Belastung im Ärztlichen Bereitschaftsdienst möglichst gering zu halten“. Hierfür werden – soweit es um Radiologen u. Ä. geht – Ärzte zum Bereitschaftsdienst
verpflichtet, die den Facharztstandard auf dem jeweiligen Gebiet des Einsatzes schlichtweg nicht gewährleisten können. Diese Arztgruppen verfügen oft seit vielen Jahren über keinerlei klinische
Erfahrungen mehr. Sie können regelmäßig – anhand der klinischen Symptomatik – keine validen Diagnosen treffen oder Differentialdiagnosen erarbeiten. Häufig sind sie in Unkenntnis darüber, welche
Medikamente aktuell auf dem Markt sind bzw. welche Wirkungen, Neben- und Wechselwirkungen diese haben. Mit diesen Voraussetzungen werden die Ärzte in Behandlungssituationen geworfen, die
innerhalb einer kurzen Zeitspanne eine – adäquate – Reaktion erfordern. Die o. g. Facharztgruppen können diese schlichtweg nicht gewährleisten. Indem sie die Dienste trotzdem leisten sollen, wird
von den Ärzten ein Rechtsverstoß gefordert. Dieser betrifft das Zivil- und auch das Strafrecht. Der Arzt hat bei Übernahme der Behandlung eines Patienten stets zu prüfen, ob er die praktischen
und theoretischen Fähigkeiten, Erfahrungen und Kenntnisse besitzt, die Behandlungen nach dem jeweils aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Standard erfordern. Dies gilt unabhängig von
dienstlichen Weisungen und bestehenden öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen. Auch für Notfall- und Eilmaßnahmen, etwa im Rahmen des Bereitschaftsdienstes der KVen, gilt der Facharztstandard.
Wer trotzdem auf unbekanntem Gebiet tätig wird, setzt sich der Haftung aus Übernahmeverschulden aus.
Bei fehlerhafter Behandlung bestehen Schadenersatzansprüche aus §§ 823, 280 BGB. Weiterhin besteht die Gefahr einer strafrechtlichen Ahndung aus § 229 StGB (fahrlässige Körperverletzung) bzw. §
222 StGB (fahrlässige Tötung). Anders als beim Notarzteinsatz im Rettungsdienst beispielsweise nach den Rettungsdienstgesetzen besteht auch keine Haftungseinschränkung für den Arzt nach
Amtshaftungsgesichtspunkten.
Verstoß gegen Art. 4 Abs. 1 Alt. 2 GG
Der Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 Alt. 2 GG bezieht sich auf „die Freiheit des Gewissens und seiner Entscheidungen, in denen sich die autonome sittliche Persönlichkeit unmittelbar äußert“.
Ärzte sind dem Hippokratischen Eid, der das Prinzip des „Nil nocere“ beinhaltet, unbedingt verpflichtet. Sie reflektieren ihre berufliche Verantwortlichkeit stets und genau. Sie legen an ihr
eigenes Handeln, wie auch an das Handeln ihrer Kollegen, fachlich wie ethisch hohe Maßstäbe an. Von größter Wichtigkeit ist für sie das Wohlergehen der Patienten. Alleine der Gedanke, dieses zu
riskieren, führt bei ihnen zu tiefen, in ihrer ganzen Persönlichkeit verwurzelten Ressentiments und Konflikten.u